Nach Geburtstag war ihr nicht zumute, als Teresa im März 1576 am Pult in Sevilla sass. Im Jahr zuvor hatte sie dort ein Kloster nach ihren Vorstellungen eröffnet, um für die Schwestern beste Bedingungen für ihr Gebetsleben zu schaffen. Doch jetzt musste sie Anschuldigungen entkräften, die die Inquisition gegen sie vorbrachte: Eine Novizin, die nach wenigen Wochen im Streit ausgetreten war, hatte die gesamte Klostergemeinschaft vor dem Inquisitionstribunal verklagt. Für Teresa war es nicht das erste Mal, im Fokus der Glaubenswächter zu stehen: Allein dass ihre Autobiografie von vermeintlichen Ketzern gelesen worden war, hatte der Karmelitin ein Jahr zuvor schon etliche Verdächtigungen eingebracht. Zudem hatte sie Bücher zitiert, die von der Glaubensbehörde zensiert und verboten worden waren. Doch diesmal ging es um etwas Entscheidendes – um ihre Rechtgläubigkeit: Sie sollte über ihre Visionen Auskunft geben und erklären, was sie unter «innerem Beten» verstehe. Denn Privatoffenbarungen schienen ebenso verdächtig wie Teresas Lehre vom inneren Beten. Sie ähnelte manchen spirituellen Übertreibungen der populären Alumbrados-Bewegung, einer Gruppe, die sich für erleuchtet hielt.
Als sie mit 20 Jahren in Ávila Nonne wurde, war «inneres Beten» in Spanien äusserst populär. Zweck dieser geistlichen Übung war es, eine vergeistigte Vollkommenheit zu erreichen und sich in höchste spirituelle Höhen aufzuschwingen. Auch im Kloster sollte das Gebet gepflegt werden, gestützt auf geistliche Schriften, die das Leben Jesu deuten. Bald aber sah es in ihrem Konvent anders aus: In dem wenig strengen Kloster gab es viele Gelegenheiten zur Ablenkung, vor allem durch die vielen Seelsorgegespräche, für die das Kloster offenstand; zudem wuchs die Schwesternschaft immens – beides war der Konzentration auf das betrachtende Gebet, die tiefe Meditation, wenig zuträglich. Dieses Klosterleben, das für viele Schwestern Freiheit bedeutete, führte Teresa jedoch in eine religiöse Krise, und sie sehnte sich nach der Klausur der früheren Eremiten. Eigentlich liebte sie dieses innere Beten, sie verglich es mit dem «Gespräch mit einem Freund, mit dem man gern oft allein zusammen ist». Doch auch sie gab den Ablenkungen gerne nach und fühlte sich deshalb schuldig und dieser Freundschaft mit Gott unwürdig: «Ganz, ganz oft gab ich mehr auf mein Verlangen acht, dass die Zeit, die ich mir (im Andachtsraum) zu bleiben vorgenommen hatte, bald zu Ende ginge, und darauf, auf das Schlagen der Uhr zu lauschen als auf andere gute
Dinge.» Sie musste sich zur Meditation zwingen.

Agata Marszałek
«Was für ein Freund bist Du!»
Teresa von Ávila (28.3.1515–4.10.1582)
Eines Tages erlebte sie bei ihrem Bemühen, sich in der Meditation Christus vorzustellen, Momente, in denen sie «ein Gefühl der Gegenwart Gottes überkam»: Sie war sich sicher, dass Gott in ihr sei. Damit ging sie einen Schritt weiter, als es der Spiritualität ihres Ordens entsprach, dessen Wahlspruch das Wort des Propheten Elija war: «Gott lebt, und ich stehe vor seinem Angesicht» (1 Buch der Könige 17,1). Teresa wusste hingegen: Gott ist nicht einfach vor ihr, sondern in ihrer Seele. Dort beschenkt er sie mit dem Gefühl seiner Gegenwart. Die von schwerer Krankheit gezeichnete Schwester musste nun nicht mehr auf ein Leben bei Gott nach dem Tod hoffen, sondern sehnte sich nach dem Leben, das von der Gegenwart Gottes, ihres Freundes, erfüllt ist. Doch das innere Beten blieb für sie zunächst mühsam.
Zehn Jahre später: Teresa betrachtet in der Fastenzeit eine hölzerne Jesusstatue, den von Wunden überzogenen Heiland, den «Schmerzensmann». Aufgelöst in Tränen wird ihr jetzt bewusst, dass im Zentrum ihrer Meditation nicht allein der majestätische Gott stehen muss und der auferstandene Christus, sondern auch der Mensch Jesus: mit seinem körperlichen Leiden, denn Teresa weiss sich durch ihr eigenes Leiden von ihm verstanden; oder in Momenten seiner Einsamkeit und Niedergeschlagenheit, etwa im Ölgarten. «Gern hätte ich ihm jenen Angstschweiss abgewischt», schreibt sie, gern wäre sie dort bei ihm geblieben wie die Freundin beim Freund, dem es schlecht geht, denn genau das tue Gott mit dem Menschen. Die Gottesfreundschaft, dessen war sich Teresa nun sicher, lässt sich am besten festigen, wenn Christus in seiner Menschheit betrachtet wird und zu einem greifbaren, anschaulichen Freund wird, der mit Du angesprochen werden kann. Das ist für Teresa inneres Gebet: Zu Gott als Freund Du sagen können. Ein Gebet, in dem dieses Du fehlt, ist für sie noch gar kein Gebet.
Weil sie sich Gott wie einem Freund verbunden fühlt, macht sie sich das Anliegen ihres Freundes zu eigen und übt sich in tätiger Nächstenliebe. Auch das ist für sie inneres Beten: Denn sie weiss, dass ihr Freund immer dabei ist. Diese Haltung überzeugte schliesslich die kritischen Theologen der Inquisition: Auch für sie war Teresas Gebetslehre weder Irrlehre noch weltabgewandte Frömmelei.
Die Schriften Teresas und erklärende Literatur hält die Jesuitenbibliothek Zürich bereit.