Beginn der tristen Jahreszeit oder der Monat, der die Früchte des ganzen Jahres bringt?

Liebe Mitchristen, oft habe ich den Eindruck, dass der Oktober mit einem grauen Deckel daherkommt und eine breite Tristesse über das Land hinaufzieht. Danach folgen die dunklen Novembertage, Allerheiligen, Totengedenken, Regen (den wir brauchen), der Mangel an Licht und damit verbunden die niedergedrückte Stimmung bei vielen Menschen. Auch ich spüre manchmal dieses Novemberblues. Gut, die schönen Farben des Herbstes erhellen schon für einen oder anderen Moment die Stimmung, aber wir sehen durch das leuchtende Rot und Gelb der Blätter (besonders wir in Kanada :-)) schon die kahlen Bäume und die dunkle Starre der nackten Bäume.

Ich weiss nicht, wann dieser Wandel anfegangen hat, aber von meinen Eltern haben ich gehört, dass der Herbst früher die Zeit der Freude und der Fülle war! Da wurde die Ernte des Jahres eingefahren, die Speicher gefüllt, der Wintervorrat angelegt, das «Saure» geschnitten und eingemacht, die Leute trafen sich am Abend, wo sie einander halfen, die grösseren Arbeiten zu erledigen (heute Du mir, morgen ich Dir), es wurde gesungen und getanzt, der Schnaps wurde gebrannt und gekostet, in den Weingegenden feierte man den Wandel von Most in Wein, der Federweisse beflügelte die Stimmen, und sogar Hochzeiten wurden oft im Herbst gefeiert, so auch von meinen Eltern. Es war nicht wichtig, schönes Wetter zu haben, damit die Fotos gut kommen (es gab ja auch kaum welche), sondern genügend Vorräte, um die Gäste zu beköstigen! Und die Nächte wurden immer länger, also konnte man auch nach dem Fest gut ausschlafen :-)

Und dann kam die Adventszeit mit ihren Bräuchen, Weihnachten und langen Winterabenden, wo man sich vieles erzählen konnte, wo man Zeit hatte sogar für Handarbeit und auch für die Spiele und fürs Miteinander.

Ich weiss nicht, wann der grosse Wandel kam, aber irgendwie ist der Herbst mutiert und hat eine negative Färbung bekommen. Wahrscheinlich hängt diese wenig bewusste Mutation damit zusammen, dass wir heute alles zu jeder Zeit verfügbar haben und nicht auf die Fülle des Herbstes warten müssen. Dass wir den natürlichen Rhytmus der Jahreszeiten aus einer anderen Perspektive und zu oberflächlich sehen? Dass wir das schöne, helle und ästhetische zuerst suchen und erst später - wenn überhaupt - das tiefere erkennen.

Ich wünsche uns in diesen kommenden Tagen mehr Tiefgang und mehr Nachdenken über das Ganze, nicht nur über das Oberflächliche. Dann könnte der Herbst und die äusserlich tristen Tage ein guter Weg in die Tiefe sein, auch die eigene.

Euer Pfr. Josip

Veröffentlicht am