Das rote Landwirtschaftsfahrzeug «Aebi mit Kran» fährt zügig durch Amden. Im offenen Fahrerhaus sitzt Rolf Böni und hebt an jeder Ecke die Hand zum Gruss. Man kennt ihn und sein Fahrzeug. Waghalsig fährt er über steile Waldwege und hält irgendwo zwischen sonnendurchstrahlten Buchen und Eschen. Hier hat er im Frühling einen riesigen, losen Wurzelstock entdeckt. Genau diesen braucht er für seine weitherum bekannte «Ammler Krippe». Zusammen mit vielen Naturschönheiten wird der Wurzelstock Teil der Krippenlandschaft, die den ganzen Chorraum der Kirche ausfüllt. «Die Krippe entsteht im Wald», erzählt der Krippenbauer. «Dort stehe ich vor einem Bäumchen oder einer Wurzel und weiss: dieses kommt hinter den Altar, jenes wird vorne beim Ambo stehen. Letztes Jahr hat alles perfekt gepasst. Zum Glück, denn es kam früh Schnee und ich hätte nicht mehr in die Berge gehen können, um etwas anderes zu holen.»
Nicht nur auf den Schnee muss Böni achten, auch die Alpwirtschaft gilt es zu berücksichtigen. Im Frühling fährt er mit seinem Elektro-Trial – einem strombetriebenen, geländegängigen Töff – los und braust damit fast lautlos über Alpen und durch Wälder, immer auf der Suche nach passendem Material für die Krippenlandschaft. «Um diese Jahreszeit ist das Farn noch nicht hoch. So sehe ich auch den Waldboden, und entdecke dort, was ich brauche.» Rolf Böni fotografiert dann die gefundenen Stücke und merkt sich den Standort. «Mit dieser Arbeit muss ich fertig sein, bevor die Bauern ihre Zäune aufgestellt haben, weil ich sonst mit meinem Elektro-Trial nicht mehr durchkomme.» Im Herbst, wenn Böni mit dem Aebi die schweren Stücke holt, muss er den Alpabzug abwarten, weil erst nachher die Zäune nicht mehr stehen. Schnee darf aber auch noch keiner liegen. «Das ist immer eine Zitterpartie. Wenn es Schnee hat, bin ich verloren, dann geht gar nichts mehr. Auch wenn alles nass ist, wird’s schwierig.»
Die Wälder rund um Amden gehören der Ortsgemeinde, Böni darf daher alles nutzen, was er für die Krippe benötigt. «Es ist ohnehin Altholz. Ich nehme nichts, das wirtschaftlich noch verwendbar ist.» Die ganzen Bäume – meist solche mit Sturmschäden – holt er erst kurz vor dem Aufstellen der Krippe im Advent. «Letztes Jahr hatten wir einen so grossen Baum, dass ich viele Äste absägen musste, damit wir ihn durch die Kirchentür brachten. Als er dann im Chorraum stand, habe ich die Äste teilweise wieder am Baum befestigt.» Die kleinen Tannli jedoch, die gräbt Böni im Herbst mitsamt den Wurzeln aus, stellt sie in einem Topf in die Kirche und pflanzt sie später auf einer Wiese in der Nähe der Kirche wieder ein. So stand manches dieser Tännchen schon mehrere Weihnachten neben der Heiligen Familie in der Kirche. Alles andere – Äste, Bäume, Wurzeln und Moos – sucht er jedes Jahr neu. «Man kann es nicht aufbewahren. Es wird matt und gräulich. Nur frisch behalten diese natürlichen Materialien ihr Leuchten.» Im Februar, wenn die Krippe abgebaut wird, wird all das bis zum letzten Ast wieder der Natur zurückgegeben.
Sorgfältig fährt Böni den Kranarm seitlich aus. Er befestigt den Wurzelstock mit starken Bändern und manövriert zentimetergenau, bis sich das schwere Stück anhebt, über den Boden schwebt und schliesslich sachte auf der Ladefläche zu liegen kommt. Dann holpert der Aebi weiter über den Waldweg bis zu einer mit viel Moos bewachsenen Stelle. Böni löst es vorsichtig, legt es in eine Kiste und trägt es weg. Begeistert weist er auf einige Pilze hin, die hier wachsen, und klettert dann den steilen Hang hinauf, wo es noch mehr von dem zarten grünen Moos gibt.
Wenig später steht Böni im kleinen Kämmerlein hinten in der Kirche. Dicht gedrängt und wild durcheinander stehen und liegen hier auf Gestellen Schafe, Engel, Könige, Maria, Josef und das Kind, dazu unzählige Laternen und weiteres Krippenmaterial. «Die Krippenfiguren sind aus Zirbelholz handgefertigt und mit Echtgold überzogen», sagt er stolz. «Wir hatten früher alte Gipsfiguren, die beschädigt waren. Unser damaliger Kirchenpfleger Beat Gmür fuhr vor 28 Jahren ins Südtirol und kaufte als Erstes die Heilige Familie.» Man habe dann nach und nach Sponsoren gefunden und so jedes Jahr einige Figuren zukaufen können. Drei Jahre nachdem mit diesen ersten Krippenfiguren der Grundstock zur Krippe gelegt worden war, hat Böni, damals noch Poststellenleiter in Amden, zusammen mit Beat Gmür angefangen, die Krippe mit Naturmaterialien zu verschönern. Als gelernter Schreiner hatte er das Wissen und die nötigen Maschinen, um Bäumchen und Wurzeln zu holen und wenn nötig zu zersägen.
An vielen Abenden und Wochenenden war er damals ehrenamtlich für die Krippe unterwegs. Einige Jahre später wechselte er von der Post zu einer Bank in Amden, wo er sich um Anlagen und Hypotheken kümmerte. Die Krippe blieb sein Herzensprojekt, im Team mit Beat Gmür, «einem guten Freund seit meiner Kindheit. Er ist zwar 24 Jahre älter, aber ein toller und wunderbarer Mensch.» Im Advent halfen in jener Zeit jeweils einige Pensionierte aus der Pfarrei. Heute bleibt die Kirche für den Krippenaufbau einen ganzen Monat lang geschlossen. In dieser Zeit werden die Gottesdienste in der St.-Anna-Kapelle gefeiert. In der Kirche wird jetzt eine Rampe gebaut, die es ermöglicht, die grossen Bäume über Bänke und Treppenstufen hinweg bis zum Chorraum zu transportieren.
Rolf Böni, Bauernbub, Lastwagenfahrer, Schreiner, Poststellenleiter und später Banker, war Präsident der Kirchgemeinde, als der damalige Sakristan der Pfarrei sich neu orientierte. Böni musste sich damals schnell um eine Nachfolge kümmern. Es meldeten sich zwar Anwärter, aber bei niemandem passte es wirklich. Sie wohnten entweder zu weit weg – «im Notfall muss man rasch hier sein, zum Schneeschippen oder um etwas zu flicken …» –, nahmen die Reinigungsarbeiten nicht ernst genug oder konnten nur nach Anweisung arbeiten. Böni wusste jedoch: «Als Sakristan muss man selbständig die Zeit einteilen und mit der Freiheit, die man hat, umgehen können.» Manche hatten auch keinen Bezug zu Gottesdienst, Kirche und Glaube, «das ist bei diesem Job schon auch notwendig.» Kurzerhand entschied sich Böni, der dem bisherigen Sakristan immer wieder unter die Arme gegriffen hatte, selbst Sakristan zu werden. Aus dem Präsidenten wurde der Sakristan.
Als Beat Gmür und die Gruppe der Pensionierten, die jeweils beim Aufstellen der Krippe geholfen hatten, älter wurden, entschied die Kirchgemeinde, dass Böni seine bisher ehrenamtliche Arbeit im Rahmen seiner Arbeitszeit als Sakristan verrichten soll. «Aber manchmal beneide ich die anderen Sakristane. Sie haben nach Allerheiligen und Allerseelen einen ruhigen November, während ich dann so richtig im Druck bin. Nebst der Arbeit für die Krippe in der Galluskirche muss auch die St.-Anna-Kapelle geschmückt und alles für den Advent vorbereitet werden. Im Dezember bin ich dann fast durchgehend mit dem Aufstellen der Krippenlandschaft beschäftigt.»
Als Erstes wird die Temperatur in der Kirche auf 14 Grad runtergedreht, «damit die Bäume durchhalten und nicht dürr werden. Sie müssen bis Anfang Februar einigermassen frisch bleiben». Die Krippenfiguren stehen jedes Jahr an einem anderen Ort. Im einen Jahr gibt es einen Stall in Form einer Hütte, die Böni vorab in der Garage zusammenschreinert. In einem anderen Jahr steht die Heilige Familie in einer Höhle, die durch eine spezielle Wurzel dargestellt wird. Eine besondere Herausforderung ist das sprudelnde Bächlein, das jedes Jahr an einer anderen Stelle durchfliesst. Mit einer Pumpe erhält Böni den Wasserkreislauf aufrecht. Der Flusslauf muss als Erstes installiert werden, damit allfällige Lecks geflickt werden können, «bevor ich nicht mehr durchkomme, weil alles mit Naturmaterial und Figuren zugestellt ist». Als Zweites wird der Unterboden gebaut. Die ganze Krippe steht auf Paletten, denn unter diesen verlegt Böni die Kabel zu den vielen Scheinwerfern, die dezent das eine oder andere Tierchen oder die Figuren beleuchten. Dann beginnt er ganz hinten im Chor die Landschaft zu gestalten und arbeitet sich langsam nach vorne in Richtung Kirchenschiff. «Es muss von Anfang an passen. Ich komme nachher nicht mehr durch, um etwas zu korrigieren.»
Für heute ist die Suche nach Krippenmaterial beendet. Jetzt setzt sich Rolf Böni mit einem Bier auf seinen Balkon in die Abendsonne. Er blickt über die Berge und Weiden bis zum Walensee, auf dem er im Sommer gern mit seinem motorbetriebenen Schlauchboot unterwegs ist. Er geniesst die Stille, schätzt aber auch sehr die Begegnungen mit Menschen. Die Krippe tut ihren Teil dazu: «Während der Krippenzeit gibt es viele Gespräche mit Leuten, die zur Besichtigung kommen.» Die Krippe rege an, über den Ursprung des Glaubens nachzudenken: «Jesus ist gekommen, um uns die Ewigkeit zu zeigen. Wenn wir hier leben und glauben, sind wir schon ein wenig in dieser Ewigkeit.»
In den Gottesdiensten könnte man seiner Meinung nach allerdings einiges anders machen: «Man müsste weniger aus Büchern lesen und mehr über das Leben reden. Was uns heute beschäftigt, wie wir mit unseren Problemen umgehen. Dass du am Schluss aus der Kirche rausgehst und nicht mehr so schwer trägst, damit hat Gott ja doch auch zu tun!» Nach einer Weile meint er: «Wenn ich jünger wäre, dann wäre jetzt eigentlich die Zeit weiterzugehen, wieder eine neue Arbeit und Lebensaufgabe anzupacken.» Gerne würde er mehr mit Menschen nachdenken, reden und philosophieren. Das fehle nach der Krippenzeit bei seiner Arbeit als Sakristan. Aber jetzt, fünf Jahre vor der Pensionierung, wolle er nicht mehr den Job wechseln. Und gleichzeitig: «Ich habe in meinem Leben viel gesehen, und ich möchte nichts davon missen. Wer weiss, was noch auf mich zukommt. Ich bin offen.» Ein Milan zieht am Himmel seine Runden.