Tobias Haberl hat sich 2023 im SZ Magazin geoutet: als Katholik. Sein Buch «Unter Heiden» hat grosse Resonanz ausgelöst.
Matthias Ziegler
Der katholischen Kirche in Europa geht es nicht gut, ehrlich gesagt: es geht ihr schlecht. Millionen treten aus, immer mehr winken ab, sobald ein Pfarrer oder Bischof auch nur den Mund aufmacht, viele wehren sich mit Händen und Füssen dagegen, der Kirche etwas Positives abzugewinnen.
Lässt sich das nachvollziehen? Aber ja! Die Kirche hat – Stichwort Missbrauchsskandal – viel Vertrauen eingebüsst, und zwar zurecht. Nicht nur hat sie gesündigt, sie hat auch zu wenig Reue gezeigt, zu wenig Busse getan und überhaupt miserabel kommuniziert. Die Folge: Viele denken beim Anblick eines Geistlichen ausschliesslich an einen «Kinderschänder», ohne sich vorstellen zu können, dass es sich um einen faszinierenden Menschen handelt, der – oft im Verborgenen – wertvolle Seelsorge betreibt. Dazu kommt, dass die Kirche oft nur noch als Verein wahrgenommen wird, der für Werte und Moral zuständig ist. Politische Fragen dominieren, das Evangelium tritt in den Hintergrund. Tatsächlich wird Kirche von vielen nur noch mit negativen Schlagworten in Verbindung gebracht, während ihre strahlende Seite, die Schönheit, der Trost, die Hoffnung, unter den Altartisch fallen. Dabei ist Jesus nicht am Kreuz gestorben, um uns zu netten Menschen zu machen. Er hat sich geopfert, um uns zu erlösen. Das ist ein Unterschied.
In dieser Situation können Menschen, die gerade keine Kleriker, ja vielleicht nicht einmal Theologen oder Religionslehrer sind, ungezwungener von der Schönheit des christlichen Glaubens erzählen. Unkontaminiert von Skandalen und dem zermürbenden Tagesgeschäft der Kirche, können sie glaubwürdiger daran erinnern, was es bedeutet, ein christliches Leben zu führen, nämlich: weg vom Ego, hin zu anderen Menschen, hin zu Gott. Die Kirche, das sind nicht ein paar ältere Herrschaften in Soutanen im fernen Rom, die Kirche, das sind alle Getauften, 1,4 Milliarden Katholiken weltweit. Indem sie von Jesus erzählen, indem sie ihren Glauben nicht verstecken oder verstohlen praktizieren, indem sie andere einladen, Gott kennen zu lernen, können sie eine Brücke bilden zwischen einer verunsicherten Kirche und einer Gesellschaft, die sich nach Sinn, Halt und Orientierung sehnt. Es gibt Christen, die am Arbeitsplatz verschweigen, dass sie in die Messe gehen, um schiefen Blicken aus dem Weg zu gehen. Es gibt sogar Kirchenmitarbeiter, die, wenn sie nach ihrem Beruf gefragt werden, sagen, sie arbeiteten für eine wohlfahrtstaatliche Einrichtung. Das ist nicht nur feige, es widerspricht der Aufforderung Jesu, hinauszugehen und das Evangelium zu verkünden, was ja nichts anderes heisst als von seinem Leben, seinem Tod und seiner Auferstehung zu erzählen, um Hoffnung in die Welt zu tragen.
Dafür reichen oft Kleinigkeiten. Man kann sagen: «Ich komme später, weil ich noch was zu erledigen habe.» Oder aber: «Ich komme später, weil ich die Messe besuchen will.» In einer Zeit, in der viele nicht mehr auf dem Schirm haben, dass es so was wie gläubige Menschen überhaupt gibt, sollten Christen sich bemerkbar machen, nicht verbittert oder mit erhobenem Zeigefinger, sondern natürlich und freudvoll. Denn natürlich kann man versuchen, andere vom Glauben zu überzeugen, ansteckender aber ist es, wenn Menschen von selbst sehen, wie erfüllend ein Leben an der Seite von Jesus Christus ist.