Die Feier fand in der Dormitio-Abtei der Benediktiner auf dem Berg Zion in Jerusalem statt: In diesem Jahr stand die Preisverleihung ganz im Zeichen des Massakers von 7. Oktober 2023 und dem darauffolgenden Gazakrieg. Doktor Karma Ben-Johanan wurde für ihre Dialogbemühungen unter schwierigsten Bedingungen ausgezeichnet, und vier Beduinen der Alkrenawi Familie erhielten den Preis, weil sie über 40 Menschenleben retteten. Bekannt ist, dass die Hamas 1200 israelische Zivilisten ermordeten, 240 Geisel verschleppten und der Krieg in Gaza seither über 50 000 Leben gekostet hat. Doch auch die Traumatisierung der israelischen Bevölkerung, die Evakuierung im Norden des Landes, die Siedlergewalt im Westjordanland, das Zerbrechen von Beziehungen zwischen Palästinensern und Juden im Alltag sowie der weltweite Antisemitismus, der sich sofort nach dem 7. Oktober zeigte, mussten genannt werden.
Die «Mount Zion Foundation» ist am Institut für Jüdisch-Christliche Forschung der Universität Luzern angesiedelt. Sie vergibt alle zwei Jahre einen mit 30 000 Franken dotierten Preis an Menschen, die sich in Israel/Palästina für Dialog, Verständigung und Koexistenz einsetzten.
Pfarrer Doktor Wilhelm Salberg aus Nordrheinwestfahlen, selbst Kind eines jüdischen Vaters und einer katholischen Mutter, hatte 1986 den Preis gestiftet, um die Errungenschaften der Konzilserklärung «Nostra aetate» zur Haltung der Kirche zu den nicht-christlichen Religionen auch in Israel/Palästina fruchtbar werden zu lassen. Dabei hatte er den Dialog zwischen Juden, Christen und Muslimen im Blick, sowie das gesellschaftliche Leben im noch jungen Staat Israel überhaupt. Seit seiner Entstehung ist es noch nie so stark auf die Probe gestellt worden, wie in den letzten zwei Jahren.
Doktor Karma Ben-Johanan, die an der Hebräischen Universität in Jerusalem lehrt, erhielt die Auszeichnung, da sie am 12. November 2023, also einen Monat nach dem Massaker, einen offenen Brief an Papst Franziskus geschrieben hatte. Er wurde von über 400 jüdischen Intellektuellen und Rabbinern unterzeichnet. Sie erinnerte daran, dass unter den Bedingungen von Terror und in Kriegszeit der jüdisch-christliche Dialog nicht abgebrochen werden darf. Als Intellektuelle und Mutter von drei Kindern hat sie ihr Engagement für Dialog in Israel und Europa in den letzten Jahren noch intensiviert. In ihrem Festvortrag, den Ben-Johanan am Vorabend vor der Preisverleihung hielt, dachte sie laut über den Dialogs nach, angesichts eines Konflikts in dem sich Religion und Politik, Aufarbeitung der Schoa und postkoloniale Kritik, lokale gesellschaftliche Auseinandersetzungen mit weltpolitischen Interessen überlagern. Dialog trotz Antisemitismus in Ost und West, trotz Krisen und Zweifeln.
Die Laudatio auf die vier Beduinen Ismail, Dahesch, Chamad und Rafi Alkrenawi hielt der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Bodo Ramelow, der aus Berlin angereist war. Er erinnerte an die mutige Tat der Männer, die am 7. Oktober ihr Leben für andere aufs Spiel gesetzt haben und allzu rasch wieder vergessen wurden: Als die vier hörten, dass Familienmitglieder im Kibbuz Be’eri als Geiseln genommen wurden, fuhren sie mit ihrem Jeep hin, mussten wegen der gesperrten Strassen jedoch über Felder fahren und stiessen dabei auf das Nova-Festival. Hamas-Terroristen waren dabei, die jungen Tanzenden abzuschlachten. Sie fuhren mehrmals hin und her, um die übernächtigten, zum Teil betrunkenen und unter Schock stehenden Festivalbesucherinnen und -besucher aus der Gefahrenzone zu bringen. Sie gerieten selbst in die Kämpfe zwischen israelischer Armee und den Terroristen. Schliesslich konnten sie sich retten, mussten zu Hause aber erfahren, dass allein aus ihrer Stadt Rahat über 20 Beduinen umgebracht wurden. Bei der Preisverleihung waren die vier Beduinen wie auch Doktor Ben-Johanan mit ihrer Familie zugegen. Der Benediktinerpater Markus Muff überreichte ihnen im Namen der «Mount Zion Foundation» die Medaillen.
Christian Rutishauser an der Gedenkstätte am Nova-Festival-Gelände in Israel.
zvg
Am Tag darauf, dem Montag, 27. Oktober, machten sich die Laudatoren zusammen mit den Mönchen der Dormitio-Abtei und mit den Studierenden des Studienjahres in Jerusalem auf, das Nova-Festival-Gelände zu besuchen. In den vergangenen zwei Jahren hat sich eine Gedenkstätte entwickelt. Tafeln berichten über das Massaker, ein Feld von Mohnblumen aus Keramik erinnert an die Toten, ein Zelt für ein traditionelles jüdisches Totengedenken steht am Rande. Besucher gehen schweigend über das Gelände, Gruppen singen und beten am Rande. Es berühren vor allem die einzelnen Ermordeten, die mit Bild, kurzer Biographie und Symbolen der Erinnerung vergegenwärtigt sind. Nur schon ein flüchtiger Blick zeigt, dass hier junge Menschen ausgelassen im Techno-Sound gefeiert haben. Nichts ahnend wurden sie in der Nacht und den frühen Morgenstunden überrascht. Unter den Ermordeten sind viele queere Menschen, die sich hier zusammen gefunden hatten, um auf ihre Weise das Fest «Simchat Tora», das Tora-Freudenfest, zu feiern. Religiöse Juden verachten diese Art und Weise zu feiern. Für Beduinen ist ein solches Fest eher ein Kulturschock. Doch diese jungen Menschen ermordet zu wissen, lässt in vereinter Trauer und Betroffenheit zurück.
Nach diesem Besuch ging die Fahrt zur Alkrenawi-Familie nach Rahat. Die Gäste wurden mit traditioneller Gastfreundschaft und einem üppigen Mahl empfangen. Zugleich besuchten sie eine Grundschule. Sie informierten sich über den schwierigen Stand der rund 300 000 Beduinen in der israelischen Gesellschaft und über die politischen Auseinandersetzungen rund um ihre Integration. Einmal mehr wurde den Beteiligten bewusst, welch verschiedene Probleme der Staat Israel zu meistern hat und wie sich verschiedenste Konflikte überlagern.