Kino unter Leuten

«Stiller»

«Du sollst dir kein Bildnis machen», schrieb Max Frisch 1946 in sein Tagebuch. Mit der Liebe sei es vorbei, wenn die eine immer schon weiss, was der andere denkt. Liebende hielten es aus, sich ein erregendes Rätsel zu bleiben.

Jim Larkin Whites Identität gibt gleich zu Beginn der filmischen Umsetzung von Max Frischs «Stiller» ein grosses Rätsel auf. Bei der Einreise in die Schweiz wird White festgenommen, weil ihn ein Mitreisender als den verschollenen Anatol Ludwig Stiller erkennt. «Es muss ein Albtraum sein, wenn einem alle ein­reden wollen, man sei ein anderer», sagt der Pflichtverteidiger ironisch zu seinem Mandanten. Denn dieser ist sich ziemlich sicher, den verschollenen Stiller vor sich zu haben. Doch White streitet dies so vehement ab, als hänge sein Leben davon ab.

White oder Stiller? Er bleibt in Untersuchungshaft und schreibt seine Geschichte auf. Heft für Heft zeichnet er das Bild eines Abenteurers, eines Menschen, der seinen Mann steht. Dann reist Stillers Ehefrau Julika aus Paris an. Sie soll den Häftling als ihren Mann identifizieren. Doch obwohl er aussieht wie Anatol Stiller, entspricht er nicht dem Bild, das sie von ihrem Mann hat. Julika und White verbringen viel Zeit miteinander und in den Gesprächen verdichtet sich das Bild des Verschollenen, eines Mannes voller Selbstzweifel und Neid, unfähig zu lieben, weil er sich selbst verachtete. White versteht Stillers Entscheid, seiner Existenz zu entfliehen. Und wir verstehen, warum White auf keinen Fall (wieder) Stiller sein will.

Stefan Haupts filmische Interpretation des Jahrhundertromans gibt der Liebesgeschichte von Stiller, White und Julika eine romantische Bühne. White ist die bessere Version von Stiller, mit ihm bekommt das Paar eine zweite Chance. Aber nur so lange, bis auch sein Rätsel gelöst wird. Ob das passiert, verflüchtigt sich in weissem Nebel, der zumindest die Hoffnung weiterleben lässt.

— «Stiller» von Stefan Haupt / Schweiz 2025
Albrecht Schuch, Paula Beer, Sven Schelker, Max Simonischek, Marie Leuenberger, Stefan Kurt

Wir schauen uns «Stiller» am Montag, 20. Oktober gemeinsam an.
Die genaue Uhrzeit und der Ort werden ein paar Tage davor bekanntgegeben.

Wichtiger Hinweis:
Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Alle Teilnehmerinnen/Teilnehmer besorgen sich eigenständig eine reguläre Eintrittskarte an der Kinokasse oder im Vorverkauf.