Sie sind seit Oktober 2021 Kaplan der Päpstlichen Schweizergarde. Was ist das für eine Aufgabe?
Der Kaplan der Schweizergarde ist in erster Linie Ansprechperson für die Gardisten und ihre Familien – besonders dann, wenn sie einen Rat, Begleitung oder Unterstützung brauchen. Zugleich bin ich verantwortlich für die tägliche Feier der Liturgie, für die religiös-menschliche Weiterbildung der Rekruten und Gardisten sowie für gardeinterne Feiern, kulturelle Angebote, Wallfahrten und gemeinsame Reisen.
Die Schweizergarde vertritt die Schweiz im Vatikan und beim Heiligen Stuhl. Für welches Bild der Schweiz steht die Garde?
Die Schweizergarde verkörpert zunächst einmal Respekt vor der Tradition und gegenüber der Institution Kirche. Mit ihrer Vielsprachigkeit und durch die Zusammenarbeit mit Menschen unterschiedlichster Herkunft steht sie zugleich für die kulturelle Vielfalt und das Miteinander, die die Schweiz prägen.
Welche Werte werden jungen Gardisten vermittelt?
Der arbeitsintensive Alltag lehrt die Gardisten Disziplin, Dienstbereitschaft und Hingabe. Fern vom «Hotel Mamma» und auf sich selbst gestellt wachsen Selbständigkeit und Eigenverantwortung. Im täglichen Zusammenleben auf engstem Raum – über mindestens 26 Monate – lernen sie Rücksichtnahme und erleben den Wert verlässlicher Kameradschaft. Die umfassenden Aus- und Weiterbildungen sowie der tägliche Kontakt mit kirchlichen Würdenträgern, Mitarbeitern des Staatssekretariats, Pilgern und Touristen sind für die Gardisten eine Schule für Professionalität, Selbst- und Menschenkenntnis und für ein souveränes Auftreten. Die Schweizergarde ist eine Lebensschule, die in vielerlei Hinsicht fordert und prägt und die ihresgleichen sucht.
Welche Sprachen sprechen die Gardisten untereinander?
Die Sprachverteilung unter den Gardisten entspricht in etwa derjenigen in der Schweiz. Als verbindende Sprache dient das Italienische, das alle Gardisten erlernen. Es ist Voraussetzung für bestimmte Dienste und für die Übernahme besonderer Verantwortungen, die klar definierte Sprachniveaus erfordern. Die Mehrsprachigkeit prägt sowohl den Kasernen- wie auch den Dienstalltag der Gardisten und ist oft eine Herausforderung, aber immer auch eine grosse Bereicherung.
Man sagt, die Garde vermittle ein positives Bild der Schweiz im Herzen der Kirche. Welche Qualitäten sind dabei zentral?
Immer wieder hört man, die Schweizergarde sei das meistfotografierte Symbol der Schweiz. In dieser Sichtbarkeit liegt natürlich auch eine Verantwortung. Die Gardisten sind Botschafter der Schweiz durch ihre Bereitschaft, einer grösseren Sache zu dienen, aber auch durch ihre Professionalität, Verlässlichkeit, Freundlichkeit und Diskretion.
Gibt es so etwas wie «Swissness»? Wenn ja, wie würden Sie diese beschreiben?
Typisch schweizerisch ist sicher die Mehrsprachigkeit und eine damit verbundene kulturelle Offenheit, die wir in der Kaserne und im Vatikan auf kleinstem Raum täglich leben. Ich sehe auch das Qualitäts- und Verantwortungsbewusstsein im Dienst als Ausdruck von «Swissness». Dahinter steht ein hoher Anspruch an das eigene Tun, aber auch ein tiefes Pflichtgefühl – der Wille, das, was man tut, gut zu tun, und es mit Überzeugung zu tun. Zur «Swissness» gehört für mich auch eine gewisse Bescheidenheit. Man stellt sich nicht in den Vordergrund, sondern erfüllt seinen Auftrag zuverlässig, ruhig und mit innerer Haltung.
Was unterscheidet Ihr Leben im Vatikan vom Leben in Einsiedeln?
An die Stelle der klösterlichen Gemeinschaft ist hier die grosse «Gardefamilie» mit insgesamt fast 200 Personen getreten, aber es ist weiterhin ein Leben und Arbeiten inmitten eines intensiven Mit- und Nebeneinanders. Im Vatikan wie in Einsiedeln wird die Liturgie auf sehr gepflegte Weise gefeiert, jedoch muss ich hier auf die gemeinsame Feier der in Einsiedeln teils auch gesungenen Stundenliturgie verzichten. Jedes Umfeld und jede Tätigkeit bringt neue Möglichkeiten und verlangt Verzicht.
Was vermissen Sie?
Es wäre schön, die Familie und die Mitbrüder regelmässiger sehen zu können. Hier in Rom fehlt auch die klare Schweizer Luft, das satte Grün und in der Herbstzeit eine feine «Metzgete» oder ein Coup Nesselrode. Und bisweilen vermisst man hier auch die Verlässlichkeit und die hohe Qualität in der Arbeitswelt, wie sie in der Schweiz vielfach noch anzutreffen sind.
Was geniessen Sie?
Ich staune immer wieder über die spirituelle Anziehungskraft insbesondere der Grabstätte des Apostels Petrus. Ich geniesse die tägliche Erfahrung von Internationalität, Vielfalt und der Jugendlichkeit und Dynamik der Weltkirche, die ich als erbauend und sehr bereichernd wahrnehme. Und natürlich geniesse ich insgesamt auch die Italianità – die Lebensfreude und den Familiensinn der Italiener, ihre Kultur und Kulinarik.
Das Interview wurde schriftlich geführt.

Jessica Krämer / zvg
Pater Kolumban Reichlin (*1971) ist seit Oktober 2021 Kaplan der Päpstlichen Schweizergarde. Zuvor wirkte er als Propst in der Propstei St. Gerold in Vorarlberg Ö, die zum Kloster Einsiedeln gehört. Der Bürger von Steinerberg SZ trat 1991 ins Kloster Einsiedeln ein, er studierte Theologie, dann Geschichte und Liturgiewissenschaft.