Widmer & Binotto

Lernen wir aus Fehlern?

Manchmal bin ich so nah dran an der Makel­losigkeit, aber dann stehe ich mit dem einen Fuss schon wieder mitten im Fettnäpfchen. Der Versuch, mich einbeinig daraus zu befreien, gestaltet sich dann oft peinlicher, als eine volle Bauchlandung eingestehen zu müssen.

Mein Lernen aus Fehlern ist deshalb so fehleranfällig, weil ich häufig erst im Nachhinein das Muster erkenne, in das ich wieder mal reingestolpert bin. Zum Beispiel in der Causa «Regenjacke»: Der Wetterbericht verheisst Gutes, meine Sommerstimmung ist im Hoch, ich lass die Regenjacke trotz geräumigem Rucksack zu Hause. Und verfluche im überraschenden Gewitter meine unbelehrbare Sorglosigkeit. Schon wieder.

Das Beispiel ist so harmlos. Hat es überhaupt die Kategorie «Fehlentscheidung» verdient? Beichten werde ich die fehlende Regenjacke sicher nicht. Aber gerade in der Harmlosigkeit wird Grundsätzliches sichtbar. Zum Beispiel, dass sich Fehler im Rückblick viel eindeutiger abzeichnen als in der Vorschau.

Weiter dämmert es mir allmählich, dass ich aus Fehlern nur dann wirklich lerne, wenn ich eine neue Haltung entwickle, in der ich gar nicht mehr an den Fehler denken muss, den ich vermeiden will. Ich richte mich nach dem aus, was funktioniert, und nicht nach dem, was scheitert. Das ist zwar keine exklusive Erkenntnis, sondern Grundlage jeder Predigt in positivem Denken, aber auch daraus muss ich erst mal eine Haltung entwickeln.

Während ich das endlich einsehe, wachsen mir einige – selbstredend nur ganz harmlose – Fehler bereits wieder ans Herz. Was wäre das für ein Leben, wenn ich niemals wieder vom schönen Wetter zur Sorglosigkeit verführt würde? – Mir den Urlaub nicht wie aus dem Prospekt erträumte? –  Mich nie mehr blauäugig ins Abenteuer stürzte? – Keinen Fehler mehr zweimal machte?

Auf Menschen, die dank perfektem Lernfähigkeitsquotient in vollkommener Balance schweben, bin ich wahrscheinlich neidisch. Sie sind mir aber auch ziemlich unheimlich.