Braune Kutte, umgürtet mit einem Seil, so öffnet er die Tür. Kaum angekommen, zeigt Bruder Mathias ein Büchlein, das er während seiner Exerzitien – einer Zeit der Einkehr und geistlichen Vertiefung – meditiert hat. Es geht darin um den Sonnengesang des heiligen Franziskus, den dieser vor genau 800 Jahren geschrieben hat. Ein Text, der den 47-jährigen Franziskanerbruder tief berührt. «Man kann diesen Gesang als kitschig empfinden, die Freude an Vögeln, Sonne und Mond … aber im Grunde ist es ein zutiefst existentieller Text. Franziskus hat ihn mitten in einer Krise geschrieben, als er krank und fast blind war, in Zweifeln und Ängsten. Er hatte die Gnade, den Blick vom eigenen Elend auf Gott zu richten, der Leben und Hoffnung ist, wo es keine Tränen mehr gibt.»
Mit 30 Jahren hat Mathias Müller viele seiner Träume verwirklicht. Nach dem Studium der Politikwissenschaften lernte er Russisch und betreute in Moskau bei einem Startup landwirtschaftliche Zulieferer aus Europa. «Ich habe das Leben genossen, fremde Länder kennengelernt, fühlte mich reich beschenkt», erinnert er sich. Doch immer drängender die Frage: «War es das?» Junge Leute um ihn interessierten sich nach dem Kommunismus für den Glauben und nahmen ihn mit in die Kirche. Mathias ist fasziniert von der Innigkeit der orthodoxen Liturgie. In der katholischen Kathedrale von Moskau erlebt er die Weltkirche mit Gläubigen unterschiedlicher Länder. Zurück in der Schweiz nimmt er an Ostertagen in einem Kloster teil und merkt: dieses ihm unbekannte Leben zieht ihn an. Er schnuppert da und dort, bis er bei der Franziskaner-Gemeinschaft seine Berufung findet.
Zwei Tage pro Woche verbringt Bruder Mathias mit einem Mitbruder auf der Gasse, wo er Zeit hat für Obdachlose, Migranten, Menschen in Not. Er hört zu, begleitet auf Ämter, hilft Formulare ausfüllen. Die übrige Zeit arbeitet er im Verein «Franziskaner helfen», wo er sich im Fundraising für soziale Projekte seiner franziskanischen Geschwister weltweit engagiert. Die innere Freiheit, die Franziskus im Sonnengesang ausdrückt, ist ihm Vorbild: «Nichts festhalten, Lebenspläne und Vorstellungen Gott schenken, mich nicht von der Traurigkeit der Welt hinunterziehen lassen. Wie Franziskus in allem Gott loben.»
Benefiz-Veranstaltung 800 Jahre Sonnengesang
Sa, 11. Oktober, ab 14.00 Uhr
Quartierzentrum Hirslanden Zürich, www.franziskaner.ch