Kommentar

Chance oder Show?

Ab 10. November findet in der brasilianischen Stadt Belém die UN-Klimakonferenz statt, an der auch die Kirchen ein Interesse haben. Reporterin Christine Wollowski war vor Ort.

Christine Wollowski (*1966) berichtet seit 25 Jahren aus Brasilien und ist Teil des Korrespondentennetzwerks weltreporter.net.

Zum ersten Mal kommt die Klimakonferenz ins Amazonasgebiet nach Brasilien. Die COP30, die Anfang November in Belém stattfindet, mag die letzte sein, bei der es noch Chancen gibt, die Erderwärmung in Grenzen zu halten. Eine Herausforderung, deren Gelingen über die Zukunft der Menschheit entscheidet. Die Ausgangslage ist denkbar schwierig: Die Welt ist diplomatisch zer­rissen wie selten zuvor. Die USA werden gelenkt von einem Klimakrisenleugner, und es fehlen jährlich 300 Milliarden Dollar für die Finanzierung bereits beschlossener Massnahmen. In Brasilien sieht es kaum besser aus: Präsident Lula will sich einerseits als Vorreiter in Sachen Klimapolitik profilieren, hat aber erst vor wenigen Mo­naten Erdölauktionen für Vorkommen im Amazonasmündungsgebiet in extrem sensiblen Ökosystemen möglich gemacht. Ein Gesetz zur Erlaubnis von Bergbau in indigenen Gebieten wurde ebenfalls erst kürzlich verabschiedet. Beim Drahtseilakt zwischen Klimaschutzzielen und verheerenden Massnahmen zur Wirtschaftsförderung droht der Politiker seine Glaubwürdigkeit einzubüssen.

Lulas Entscheidung für Belém als Austragungsort brachte ihm bei den Brasilianern immerhin Pluspunkte. Eine Stadt aufzuwerten, die sonst nicht im Rampenlicht steht, und die Welt zum Amazonas zu bringen, macht für viele Sinn. Belém mag nahe am Regenwald liegen, eine Referenz für gelungene Klimapolitik ist die Stadt nicht – sie ist eine der am wenigsten begrünten des Landes und umgeben von Palmöl- und Orangen-Monokulturen. Geschätzte 20 Prozent der Haushalte sollen an die Kanalisation angeschlossen sein, in vielen Slums fliessen Abwässer direkt in die Flüsse, und die Präsenz von Plastikbechern und -tüten in der Stadt ist erschreckend.

Schlagzeilen machte die COP30 bisher vor allem wegen des Bettenmangels in Belém: die erwarteten 50 000 Besucher sollen teils auf Kreuzfahrtschiffen nächtigen, weil es nicht genügend Hotels gibt, und die verfügbaren Zimmer kosten weit mehr als das von der UNO definierte Tagesbudget. Im September hatten erst 60 Länder von möglichen 198 ihre Teilnahme zugesagt. Wer nicht zahlen kann, ist nicht dabei? Die Frage, wessen Stimme bei der COP gehört wird, stellt sich auch innerhalb Brasiliens. Die katholische Kirche, Universitäten, Kleinbauernverbände und Gemeinden halten seit Monaten vorbereitende Konferenzen ab, um ihre Forderungen den Mächtigen zu übergeben. Ein wichtiges Thema ist dabei der Kampf gegen Umweltrassismus: die Tatsache, dass genau die Menschengruppen, die am meisten unter Umweltsünden leiden, am wenigsten an Entscheidungen beteiligt sind. Der emeritierte Bischof von Altamira, Erwin Kräutler, mahnte ausserdem bei einem der Treffen, das Amazonasgebiet sei nicht dazu da, um Gewinn aus ihm zu schlagen, es diene vielmehr dem Leben und Überleben. Entscheidend ist, welches Gewicht solche Aussagen bei den Verhandlungen haben werden. Indigene Völker fordern deswegen, dass ihre leitenden Kaziken ebenso mit verhandeln sollen wie die internationalen Staatschefs.

Tatsächlich werden für die COP30 rekordverdächtige 3000 indigene Teilnehmerinnen und Teilnehmer erwartet. Ein Drittel davon soll Zugang zum von der UNO kontrollierten «blauen Bereich» erhalten, in dem sich die Staatschefs bewegen – womöglich eine Chance für echten Austausch. Falls allerdings tatsächlich nur ein Bruchteil der Mitgliedsstaaten erscheint und die ärmeren Länder grösstenteils fernbleiben, könnte die Chance vertan und die COP30 zur reinen Showveranstaltung werden.  

Die Recherche wurde unterstützt von der CIR (Christliche Initiative Romero).