Kirchen unterstützen verstärkt Angehörige von Häftlingen

Das ökumenische Pilotprojekt «ExtraMural» zur Beratung von Angehörigen Inhaftierter wird weitergeführt und ausgebaut. Mehr als 150 Menschen wurde durch die Anlaufstelle bereits geholfen.

Niederschwellige Beratung: Das Infomobil.
Niederschwellige Beratung: Das Infomobil.

Seit Frühling 2023 beraten die reformierte und die katholische Kirche im Kanton Zürich Angehörige Inhaftierter. Mit dem Ablauf der dreijährigen Pilotphase des Projekts «ExtraMural» ist nun klar: Das Angebot bleibt bestehen und wird sogar noch ausgebaut. Das Projekt entwickle sich sehr gut, begründet der Kirchenrat der reformierten Landeskirche des Kantons Zürich in einem jüngsten Beschluss den Entscheid.

Die Projektstelle wird deshalb von 60 auf 80 Prozent aufgestockt, die reformierte Kirche budgetiert für Extramural im kommenden Jahr rund 70 000 Franken. Geprüft werden soll noch, ob sich die muslimische Seelsorge Quams künftig auch finanziell beteiligen kann. Sie bringt sich bislang nur in der Steuergruppe ein. Extramural hilft Familien und Freunden Inhaftierter mit Fragen zum Justizsystem oder auch der Organisation des Alltags. Meistens meldeten sich Betroffene unmittelbar nach einer Verhaftung telefonisch, sagt die Projektleiterin Ivana Mehr. «Da geht es in der Regel um grundsätzliche Fragen, etwa wohin die verhaftete Person gebracht wurde und wie es jetzt weitergeht.»



158 Personen wurden in über zwei Jahren durch «ExtraMural» mit Beratung und Begleitung erreicht.

Seit Juni 2023 hat Mehr 158 Personen beraten, teils sind es einmalige Gespräche, manchmal werden daraus aber auch längere Begleitungen über Monate oder gar Jahre hinweg. Neben eher technischen Fragen zum System stellen sich schnell oft auch praktische: etwa wenn durch einen Gefängnisaufenthalt das Familieneinkommen plötzlich wegfällt oder die Besuche in der Haftanstalt organisiert werden müssen.

Zum Projekt gehört auch eine Selbsthilfegruppe, in der sich Angehörige einmal pro Monat über ihre Erfahrungen und ihren Alltag austauschen. «Wie sich die Selbsthilfegruppe entwickelt hat und trägt, ist eindrücklich», sagt Mehr.

Nach gut zwei Jahren sieht sie Extramural als gut etabliert. Die Websites aller Haftanstalten im Kanton Zürich weisen auf das Angebot der Kirchen hin. Die Zusammenarbeit mit dem Amt für Justizvollzug und Wiedereingliederung erlebt Mehr als positiv. «Das ist sicher auch der Gefängnisseelsorge zu verdanken, durch die beide Kirchen schon lange mit den Behörden zusammenarbeiten.» So darf Extramural seit rund einem Jahr regelmässig ein Informationsmobil vor der Justizvollzugsanstalt Pöschwies und neu auch vor dem Gefängnis Zürich West aufbauen. So können die Besucherinnen und Besucher niederschwellig angesprochen werden.

Das Infomobil betreibt Mehr zusammen mit dem Verein Team 72, der ebenso in der Beratung Angehöriger von Inhaftierten tätig ist. Dieses Projekt wird durch den Kanton mit zusätzlichen Stellenprozenten unterstützt, auch Stiftungen und Verbände leisten Beiträge.

Künftig möchte Mehr das Augenmerk noch stärker auf Zusammenarbeit und Vernetzung legen. Die Kooperation mit Team 72 möchte sie intensivieren, damit noch mehr Synergien entstehen. Und sie will neue Gruppen ansprechen, «etwa Strafverteidiger, bei denen ich immer wieder ein grosses Interesse an unserer Arbeit spüre». Langfristig plant die Projektleiterin, das Angebot auch bei der Polizei bekannter zu machen.

Ein weiteres Vorhaben betrifft die jüngsten Angehörigen von Inhaftierten: die Kinder. Auch ihnen wollen die Kirchen mit ExtraMural in Zukunft eine zusätzliche Hilfestellung bieten und sie unterstützen. In kurzen Erklärvideos sollen sie mehr darüber erfahren, wie sich der Alltag ihrer Eltern in Haft gestaltet oder was sie bei einem Besuch von Mutter oder Vater im Gefängnis erwartet.

Dieser Beitrag ist zuerst in der Zeitschrift «reformiert.» erschienen.

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