Was tut die Kirche gegen Missbrauch?

Welche der angekündigten Massnahmen gegen Missbrauch im kirchlichen Umfeld und dessen Vertuschung sind umgesetzt? Was ist geplant? Eine Übersicht zeigt den Stand der Dinge anlässlich des zweiten Jahrestags der Veröffentlichung der Missbrauchsstudie.

Bischof Bonnemain an der Medienkonferenz zur Missbrauchstudie 2023
Bischof Bonnemain spricht an der Medienkonferenz zur Veröffentlichung der Vorstudie zu Sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche Schweiz am 12. September 2023.

Die Pilotstudie zu sexuellem Missbrauch im Umfeld der römisch-katholischen Kirche Schweiz dokumentiert über 1000 Übergriffe seit dem Jahr 1950 und deren systematische Vertuschung durch kirchliche Verantwortliche. An der Veröffentlichung der Studie im September 2023 stellten kirchliche Veranwortliche Massnahmen in Aussicht, die der weiteren Forschung, Aufarbeitung sowie der Prävention von Missbrauch im kirchlichen Kontext dienen sollen. Eine Übersicht zum Stand der Dinge zwei Jahre später:


Unabhängige Opferberatung

Seit Anfang 2025 erfolgt die Opferberatung unabhängig von den kirchlichen Stellen durch die von den Kantonen anerkannten Opferberatungsstellen. Damit die externen Opferberatungsstellen diese Aufgabe adäquat wahrnehmen können, wurde eine kirchliche Informationsstelle eingereicht, mit je einer Ansprechperson für die deutsche und einer für die lateinische Schweiz. Die Informationsstelle nimmt Anfragen zu kirchenspezifischen Fragen der Opferberatungsstellen entgegen und beantwortet diese mit Unterstützung eines Pools von Fachpersonen, die mit kirchenrechtlichen Fragen sowie mit den Strukturen und Institutionen der katholischen Kirche in der Schweiz vertraut sind.

Nationale Dienststelle Missbrauch

Seit Sommer 2024 gibt es eine nationale «Dienststelle Missbrauch im Kirchlichen Kontext». Sie arbeitet im Auftrag der drei kirchlichen Institutionen Schweizer Bischofskonferenz SBK, dem Dachverband der kantonalkirchlichen Organisationen RKZ und der Konferenz der Ordensgemeinschaften und anderer Gemeinschaften des gottgeweihten Lebens in der Schweiz KOVOS.

Leiter der Fachstelle ist Dr. Stefan Loppacher. Seit Anfang Januar 2025 verstärken Annegret Schär und Mari Carmen Avila das Team. Mit 140 Stellenprozenten bearbeitet und koordiniert die Dienststelle die gemeinsam beschlossenen Massnahmen zur Verhinderung von Missbrauch und dessen Vertuschung. Die kirchlichen Stellen gegen Missbrauch der verschiedenen Bistümer arbeiten hauptsächlich in der Prävention, Information und Beratung. 

Nationales Straf- und Disziplinargericht

Künftig soll ein nationales kirchliches Gericht für einen einheitlichen und professionellen Umgang mit Missbrauchsfällen sorgen. Dabei haben die zivilen schweizerischen Strafgesetze stets Vorrang und die Strafverfolgungsbehörden müssen zwingend eingeschaltet werden. Dieses nationale kirchliche Gericht wird im Bereich der kirchlichen Strafverfahren die Gerichte der Bistümer ersetzen. Dadurch wird die kirchliche Rechtsprechung in allen Schweizer Bistümern vereinheitlicht. Das nationale Strafgericht setzt sich nicht nur aus Priestern zusammen. Es wirken auch kirchenrechtlich kompetente Frauen und Männer sowie weitere Fachpersonen aus Psychologie und Rechtswissenschaft mit.

Die zuständigen vatikanischen Stellen begrüssen grundsätzlich die Schaffung eines solchen nationalen Gerichts. Die Schweizer Bischofskonferenz hat im März 2025 die Statuten dieses Nationalen Straf- und Disziplinargerichts verabschiedet. Diese werden nun dem Vatikan zur Genehmigung vorgelegt.

Missbrauchsakten nicht mehr vernichten

Laut Kirchenrecht sollen Prozessakten von Strafverfahren nach einer Frist von zehn Jahren vernichtet werden, allerdings unter Aufbewahrung des gesamten Urteils. Da dies die Vertuschung von Missbrauchsfällen begünstigen kann, haben im September 2023 die Schweizer Bischöfe erklärt, dass sie das Kirchenrecht in diesem Punkt nicht mehr beachten und sämtliche Akten dauerhaft aufbewahren. Anfang April 2025 hat der Vatikan diesen Schweizer Sonderweg explizit gut geheissen. 

Assessments für angehende Seelsorgende

Zukünftige katholische Seelsorgerinnen, Seelsorger, Diakone und Priester müssen ab sofort eine psychologische Eignungsprüfung durchlaufen. Das haben die Schweizer Bischöfe an ihrer Versammlung im März 2025 entschieden. Die Eignungsprüfung wird zunächst bei jenen durchgeführt, die sich am Ende ihrer Ausbildung befinden. Dann werden sie schrittweise früher durchgeführt, mit dem Ziel, sie möglichst früh in der Ausbildung anzusetzen. Spätestens bei der Anmeldung zur Berufseinführung bzw. vor der ersten kirchlichen Anstellung muss das Assessement durchgeführt worden sein.

Personaldossiers und Weitergabe von Informationen

Künftig liefert ein Leitfaden die Grundlagen, damit die Personaldossiers von kirchlich Angestellten in der ganzen Schweiz alle Informationen dokumentieren, die für das Thema «Sexueller Missbrauch und Grenzverletzungen» relevant sind. Dieser Leitfaden formuliert neu Standards zur Führung und Archivierung von Personaldossiers sowie zur Weitergabe von Personalinformationen. Die Einführung und Anwendung des Leitfadens startet voraussichtlich gegen Ende 2025 mit Schulungen für Personalverantwortliche kirchlicher Stellen.

Zudem stellen die zuständigen Instanzen seitens der Bistümer, kantonalkirchlichen Organisationen, Kirchgemeinden und Ordensgemeinschaften sicher, dass sie bei Stellenwechsel und Anstellungen relevante Informationen erhalten bzw. weitergeben. 

Forschungsprojekt 2024-2026

Sogleich nach der Präsentation der Vorstudie zum Missbrauch im kirchlichen Kontext im September 2023 haben SBK, RKZ und KOVOS das Historische Seminar der Universität Zürich mit einem weiteren Forschungsprojekt für die Jahre 2024 bis 2026 beauftragt. Die Ergebnisse dieser Hauptstudie werden 2027 präsentiert.

Finanzielle Ressourcen für die Umsetzung der Massnahmen

Für die Umsetzung all dieser Massnahmen haben SBK, RKZ und KOVOS für die Jahre 2024 bis 2026 Gelder im Umfang von 1,5 Millionen Franken für das Forschungsprojekt und 1 Million Franken für die weiteren beschlossenen Massnahmen gesprochen. Damit stehen zusätzliche finanzielle Mittel für Fachpersonen sowie für externe Beratung und Aufträge für die Umsetzung der beschlossenen Massnahmen bereit. Für die Konkretisierung der Umsetzung stehen SBK, RKZ und KOVOS im Dialog mit den Betroffenenorganisationen.

Missbrauchsbetroffene können sich an unabhängige und an kirchliche Anlaufstellen wenden.