Gerüstet für die letzte Reise

Wie bereiten sich Menschen für ihre letzte Reise vor? Welchen Weg legen die Seelen nach dem Tod zurück? Richard Kunz, Kurator der Ausstellung «Der Weg ins Jenseits» im Museum der Kulturen Basel, gibt Einblick in die Vorstellungen verschiedener Kulturen über diese Zwischenwelt.

Der mexikanische Künstler Pepe Villegas hat für die Ausstellung ein Werk geschaffen, das von der Tradition des «Día de Muertos» inspiriert ist.
Der mexikanische Künstler Pepe Villegas hat für die Ausstellung ein Werk geschaffen, das von der Tradition des «Día de Muertos» inspiriert ist.

Herr Kunz, können Sie sagen, wie sich die Menschen verschiedener Kulturen das Jenseits konkret vorstellen?

Die Ausstellung dreht sich in erster Linie um den Weg zu dem Ort, wo die Seelen nach dem Tod sind, weniger um den Ort selbst. Der Name der Ausstellung «Der Weg ins Jenseits» drückt das gut aus. Zwar ist ein kleiner Teil auch dem Thema «Ankommen» gewidmet, der Fokus liegt jedoch auf dem Weg, dem Unterwegssein ins Jenseits.

Die Ausstellung nimmt hier langsam Form an. Besonders ins Auge springen die hellen, fröhlichen Farben im Raum.

Dass der Weg ins Jenseits keineswegs düster und angsteinflössend sein muss, drückt das Wandgemälde des Künstlers Eddie Hara aus, das dieser eigens für die Ausstellung angefertigt hat. Hara stammt aus Indonesien und lebt in Basel. Sein Gemälde mit dem Titel «See You on the Other Side» zeigt den Weg ins Jenseits als fröhliches, unterhaltsames Abenteuer. Wir finden in der Ausstellung auch Unerwartetes wie beispielsweise eine Multimedia-Ecke mit ca. 60 Songs zum Thema. Neben dem bekannten «Highway to Hell» gibt es viele weitere Musikstücke zu entdecken.

Welche Bedeutung hat das Jenseits in den verschiedenen Kulturen?

In allen mir bekannten Kulturen herrscht die Vorstellung, dass nach dem Tod noch etwas kommt. Es gibt keine Kultur, die davon ausgeht, dass nach dem Tod einfach Schluss ist. Deshalb hat das Jenseits in allen Kulturen einen hohen Stellenwert, ob es das Nirvana ist, das Paradies oder das ewige Leben; die Vorstellungen sind vielfältig. Die Gegenstände der Ausstellung zeigen, dass es in allen Kulturen wichtig ist, für den Weg ins Jenseits gut ausgerüstet zu sein.

Welche Rolle spielen Rituale oder bestimmte Objekte für den Übergang ins Jenseits?

Eine sehr, sehr wichtige Rolle. Auf dem Weg ins Jenseits kann viel schiefgehen. Deshalb pflegen die meisten Kulturen streng festgelegte Rituale. Im Katholizismus sind das die Sterbesakramente und als Teil davon «die letzte Ölung». Weil unser Museum auch einen Forschungsschwerpunkt zu Bali hat, gibt es in der Ausstellung einiges über die dortige Tradition der Seelenreinigung zu erfahren. Nach balinesischer Vorstellung muss die Seele nach dem Tod gereinigt werden. Das geschieht über mehrere Schritte, die aufwendig und zeitraubend sind. Die Kremation bildet den Anfang.

Bei uns haben sich die Rituale fürs Abschiednehmen und die Bestattung in den letzten Jahren gewandelt oder sind teilweise verschwunden. Wie ist das in anderen Kulturen?

Die Ausstellung beleuchtet das Thema «Weg ins Jenseits» auch aus aktueller Sicht und bezieht die neuere Forschung mit ein. Es zeigt sich, dass, auch wenn es Veränderungen und Anpassungen gibt, die grossen Züge bestehen bleiben. Ich versuche es wieder am Beispiel Bali: Weil die mehrstufige Reinigung der Seele aufwendig und teuer ist, sind manche Dorfgemeinschaften dazu übergegangen, z.B. die Kremation für einen ganzen Dorfteil gemeinsam zu organisieren und kollektiv durchzuführen. Diese Anpassung ändert aber nichts am ursprünglichen Ritual der Seelenreinigung. So werden auch heute viele Verstorbene zuerst bestattet, bis der Zeitpunkt für die Kremation gekommen ist.

Können Sie unter den verschiedenen Kulturen und Religionen einen gemeinsamen «Kern» der Vorstellungen über den Weg ins Jenseits ausmachen?

Es kommt auf die Distanz an, mit der wir Kulturen vergleichen. Aus der Nähe entdecken wir viele Unterschiede. Der Blick aus der Distanz zeigt aber vor allem das Gemeinsame. Der Kern ist sicher, dass die Frage nach dem Weg ins Jenseits letztlich alle Menschen betrifft und sie deshalb auch beschäftigt. Das Unvorstellbarste für den Menschen scheint die Vorstellung zu sein, dass nach dem Tod einfach Schluss ist. Fast alle Menschen nehmen an, dass der Tod Platz für etwas Neues macht oder die Seelen reinkarniert, also wiedergeboren werden. So betrachtet, sind die Unterschiede nur graduell.

Bei uns herrscht die Vorstellung vor, dass man aus dem Tod nicht mehr zurückkehrt. Wo ist das anders und was verraten uns die Objekte über eine mögliche Rückkehr?

Es gibt in der Ausstellung tatsächlich eine Station, die sich «Wiederkehrende» nennt. Es gibt einige mythologische Gestalten, die ins Totenreich gelangt und wieder zurückgekehrt sind. Wir stellen den balinesischen Helden Bhima aus dem Mahabharata-Epos vor.
Eine temporäre Rückkehr der Verstorbenen kennt unter anderem die mexikanische Tradition des «Día de Muertos». Das zweite Werk, das von einem zeitgenössischen Künstler speziell für die Ausstellung geschaffen wurde, greift die Idee dieses Besuchs aus dem Jenseits auf. Pepe Villegas aus Tecamachalco hat für die Station «Tag der offenen Tür» seine eigene Interpretation eines Altars für den Totentag «Día de Muertos» geschaffen. An diesem «Tag der Toten» kommen die Verstorbenen zum Besuch auf der Erde aus dem Jenseits zurück. In Mexiko ist das eines der wichtigsten Feste, bei dem die Lebenden zusammen mit den Toten ein fröhliches Wiedersehen mit Musik, Tanz und gutem Essen feiern.

Sie beziehen auch Resultate aus der Hirnforschung in die Ausstellung mit ein. Wie und warum?

Die Ausstellung thematisiert die neueste Forschung an einer eigenen Station. Über die Jahrhunderte hat sich das Verständnis darüber, wann eine Person als tot angesehen wird verändert. Früher galt der Stillstand der Atmung, das Ausbleiben des «Lebensatems», als Kriterium. Später dann das Ausbleiben der Herztätigkeit. Inzwischen weiss man, dass im Gehirn auch dann noch Aktivität messbar ist, wenn die sog. lebenserhaltenden Funktionen zum Stillstand gekommen sind. Diese elektrischen Veränderungen des Gehirns zeigen beim Sterbeprozess ein ähnliches Bild wie bei Patienten während eines Schlaganfalls. Es ist also denkbar, dass dieser oder ein ähnlicher Hirnprozess auch für Nahtoderfahrungen verantwortlich ist. Wir wissen viel mehr als früher – und doch bleibt der Weg ins Jenseits ein Geheimnis, das sich erst mit dem eigenen Tod enthüllen wird.

Dieses Interview ist zuerst im Pfarrblatt Nordwestschweiz «Lichtblick» erschienen.

Porträt von Richard Kunz

Richard Kunz ist Kurator der Ausstellung «Der Weg ins Jenseits» und stellvertretender Direktor des Museums der Kulturen Basel. Die Ausstellung ist bis 26. April 2026 von Dienstag bis Sonntag von 10.00 bis 17.00 Uhr und jeweils am ersten Mittwoch im Monat von 10.00 bis 20.00 Uhr geöffnet.