Menschen, die Filme feiern

Ohne Freiwillige gäbe es kein Zurich Film Festival und keine Stars, die über den grünen Teppich gehen. Porträts von vier engagierten Menschen.

Marianne Peter hat aufgehört zu zählen, wie oft sie schon als Freiwillige am Zurich Film Festival, kurz ZFF, mitgemacht hat. Auch sie gehört zum Golden Circle und zur Fraktion der ausgemachten Filmfans. Warum kauft sie sich nicht einen Festivalpass und sieht sich in Ruhe die Filme an? «Für mich ist das Festival als Freiwillige ein besonderes Erlebnis, weil ich Teil vom Betrieb bin, in dem der Film zelebriert wird», sagt Marianne Peter. Bis vor zwei Jahren hat sie dafür tageweise frei genommen von ihrer Arbeit in der Geschäftsleitung einer Bildungsinstitution. Nun ist die Mitarbeit einfacher, weil sie Teilzeit arbeitet.

Marianne Peter liebt es, wenn am Zurich Film Festival das Kino und seine Filme zelebriert werden.

Wann immer möglich, schaut sich Marianne Peter zwischen den Arbeitseinsätzen Filme an. Manchmal sind es zwei, drei Filme pro Tag. «Wenn ich Filme schaue, kann ich aus dem Alltag aussteigen. Au revoir, dann bin ich weg!»

In den ersten Jahren hat Marianne Peter vor allem Tickets verkauft. Heute findet der Verkauf immer mehr online statt. Jetzt arbeitet sie in der Akkreditierung für Medienleute und Professionelle aus der Filmindustrie oder in der Ticketkontrolle bei den Kinos.

Ausserhalb der Festivalzeit geht Marianne Peter ihrer Passion am liebsten im Lunchkino nach, wo die Filmschaffenden ihre Filme einführen. Am liebsten schaut sie französische Filme. Im vergangenen Jahr ist sie für ein Biopic über den Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry extra in die Westschweiz gereist, weil der Film in der Deutschschweiz nicht gezeigt wurde.

Auch am Locarno Film Festival ist Marianne Peter regelmässig anzutreffen. Und im Februar dieses Jahres war sie zum ersten Mal an der Berlinale. In der Kälte hat sie dort vor dem Kino ausgeharrt, bis der Hauptdarsteller Timothée Chalamet für die Premiere des Filmes über Bob Dylan eingetroffen ist. «Das ist vielleicht etwas verrückt, aber es bedeutet mir die Welt», sagt Marianne Peter.


Catherine Luke hat sich seit ihrem ersten Einsatz im Jahr 2015 jedes Jahr ein neues Abendkleid für die Award Night gekauft. Dieses Jahr in der Farbe Barbie-pink. Die Schottin, die seit 25 Jahren in Zürich lebt, liebt den Glamour des Filmfestivals. Darum arbeitet sie besonders gern am Eröffnungsabend in der Garderobe. «Die Gäste geben sich so viel Mühe und sehen wunderschön aus in ihren Abendroben», schwärmt Catherine Luke, die sich im Café in der Europaallee den schweizerischsten aller Kaffees bestellt, einen Café Crème. Hier arbeitet sie gleich um die Ecke im Office Management. Die 58-Jährige nimmt zum dritten Mal zehn Tage frei von ihrer Arbeit, damit sie an allen Festivaltagen zur Verfügung stehen kann. Da arbeitet sie so oft, dass sie gar nicht viele Filme schauen kann. Wenn sie doch mal Zeit findet, wähle sie extra ein Genre, das sie aus der Komfortzone hole, etwa einen Dokumentarfilm oder eine Reprise.

Catherine Luke kauft sich für die Award Night jedes Mal ein neues Abendkleid.

Besonders in Erinnerung geblieben ist ihr der Einsatz, bei dem sie Nadia Schildknecht, die Gründerin und damalige Co-Direktorin des ZFF, während einer Woche am Abend begleiten durfte. Mit dem Stundenplan in der Hand dirigierte sie die Frau, mit der alle sprechen wollten, von Termin zu Termin – keine einfache Aufgabe. Ins Schwärmen kommt Catherine Luke auch, wenn sie an einen ihrer ersten Einsätze als Kellnerin denkt. Damals hatte der Schweizer Schauspieler Carlos Leal für sie eine Gasse gebildet, damit sie mit ihrem Tablett durch die Menge kam. Catherine Luke hat die Schweizer Diskretion verinnerlicht und nennt die Namen der Stars nicht, die sie am Flughafen schon abgeholt hat. Mehr als: «Es war eine Frau, die schon zweimal am Festival war und einen Oscar bekommen hat», ist von ihr nicht zu erfahren. Diese Diskretion sei mit ein Grund, warum sich die Stars in der Schweiz wohlfühlten, und dann lobt sie ihre Heimat: «Die Schweiz ist ein kleines Land mitten in Europa mit einem grossen Herz. Die Menschen sind höflich, diskret, zurückhaltend und grosszügig.»


Tammo Schlüter trinkt seinen Kaffee bei sich zu Hause in Höngg aus einer Tasse mit gold-schwarzem Auge. Die Tasse mit dem ZFF-Logo ist nur eine von vielen Erinnerungen an seine Einsätze beim Filmfestival. Da gibt es auch die Erinnerung an einen Scheinwerfer-Einsatz im Kino Le Paris während eines Podiums, bei dem er eingesprungen war. Oder die Begegnung mit einem Mann an einer Tramhaltstelle nach einer Filmvorführung: Der Mann sei ihm so vertraut erschienen, bis er gemerkt habe, dass er gerade dem Hauptdarsteller des Filmes gegenüberstand.

Tammo Schlüter trinkt seinen Kaffee jeden Morgen aus einer ZFF-Tasse mit dem gold-schwarzen Auge.

Die wertvollsten Festival-Erinnerungen sind Tammo Schlüter aber diejenigen mit seinem Sohn. Während er etwa am Presse-Schalter die Pässe an die akkreditierten Journalistinnen und Journalisten herausgab, erklärte sein damals zwölfjähriger Sohn den Passanten, wie das Kaleidoskop am Promotionsstand eines Champagner-Produzenten funktionierte. Vater und Sohn haben sogar die gemeinsamen Ferien nach dem Festival geplant. «Unsere Gesellschaft ist kein Selbstbedienungsladen, sie funktioniert nur, wenn wir auch geben und nicht nur nehmen. Das will ich meinem Sohn mit unserem freiwilligen Engagement zeigen», sagt Tammo Schlüter. Der Fundraising-Spezialist weiss, wovon er spricht. Nichts spreche dagegen, sich dort ehrenamtlich zu engagieren, wo man sich mit seinen Fähigkeiten und mit seiner Leidenschaft einbringen könne. Der ehemalige Banker mit drei Pässen, viel Auslanderfahrung und vielfältigen Sprachkenntnissen liebt das Zürcher Filmfestival für seine Internationalität, die ihn an seine Aufenthalte in Hanoi und Honkong erinnert. In der Fremde entstehe unter Ausländerinnen und Ausländern eine Verbundenheit, die er auch am Festival spüre. Die Atmosphäre erinnere ihn auch an die Pfadilager seiner Jugendzeit. Dass es sich beim ZFF um eine kommerzielle Veranstaltung handelt, stört Tammo Schlüter nicht. Das Wissen darum, dass die rund 550 Freiwilligen das Festival erst möglich machen, erfülle ihn mit Genugtuung.


Regina Flügel schlägt für unser Gespräch das Hotel Storchen oder das Café Sprüngli vor. Die ehemalige Flight-Attendant liebt es mondän. Das hat ihr an ihrem Beruf gefallen, und es ist das, was ihr auch am Zurich Film Fes­tival gefällt. Vor zwei Jahren hat die 71-Jährige dort zum ersten Mal im Service mitgearbeitet. Vergangenes Jahr betreute sie als Hostess die Gäste der Sponsoren.

Regina Flügel fühlt sich bei der Arbeit für das ZFF mindestens zehn Jahre jünger.

Regina Flügel ist 600 Kilometer südlich von Rio de Janeiro als eines von zwölf Kindern aufgewachsen. Ihre Eltern waren Schweizer Landwirtschaftspioniere, die aus wirtschaftlichen Gründen in den 1930er-Jahren von St. Gallen nach Übersee aufgebrochen waren. Im Alter von 23 Jahren trat die Tochter den umgekehrten Weg an und reiste nach Europa, aus Gwunder auf die Heimat der Eltern und mit der Absicht bei der Swissair zu arbeiten. Ihrem Traumberuf blieb sie 32 Jahre lang treu. «Es war immer mein Ziel, alle Passagierinnen und Passagiere auf dem Flug zu verwöhnen.» Dafür habe sie auch mal ein Brötchen aus der First Class in die Economy-Class geschmuggelt. Und wenn Alain Delon oder Sophia Loren mit ihnen geflogen seien, habe sie als Maître de Cabine peinlich genau darauf geachtet, dass die Promis ihre Ruhe hatten.

«Ich bin zu empathisch! Wenn Menschen um mich herum traurig sind, dann leide ich», sagt Regina Flügel. Darum habe sie immer in einem Ambiente arbeiten wollen, wo die Menschen glücklich seien. Und darum fühle sie sich am ZFF wohl – und um mindestens zehn Jahre jünger, wie sie sagt. Der Zusammenhalt unter den Freiwilligen, die vielen Sprachen und Nationalitäten der Festivalbesuchenden und der Glamour rund um den grünen Teppich erinnern sie an glückliche Berufsjahre. Ab diesem Jahr gehört Regina Flügel bereits zum Golden Circle. Das sind Freiwillige, die sich mit ihrem Einsatz besonders verdient gemacht haben oder schon lange mithelfen. Welche Aufgaben dieses Jahr auf sie warten, weiss die Wahlzürcherin noch nicht. Aber sie freut sich auf das ZFF und über die Möglichkeit, mit ihrem Engagement der Stadt, die sie sehr liebt, etwas zurückzugeben.

Das ZFF und die Kirchen

Die Reformierte und die Katholische Kirche im Kanton Zürich sind Partnerinnen des Zurich Film Fxestivals und verleihen seit 2017 einen mit 10 000 Franken dotierten Preis.
Das Zurich Film Festival findet 2025 vom 25. September bis 5. Oktober statt.

www.filmpreis-der-kirchen.ch