«Wann beginnt das Leben? Mit der Befruchtung, sagt der Jude. Am 40. Tag nach der Zeugung, wenn ein Engel dem Ungeborenen die Seele einhaucht, meint die Muslimin. Ein christliches Paar hingegen ist überzeugt: Das Leben beginnt dann, wenn die Kinder aus dem Haus sind.» Mit diesem Witz beginnt die muslimische Theologin Yasemin Duran ihren Beitrag zur Geburt – dem existenziellen Thema des 6. Interreligiösen Frauenparlaments, das am 15. Juni in Schlieren stattgefunden hat. Rund 75 Frauen verschiedener Kulturen und Religionen diskutierten über Geburt aus jüdischer, muslimischer, hinduistischer und christlicher Sicht.
In Referaten und Workshops wurden Themen wie Kinderlosigkeit und Traumata erörtert, oder die Ambivalenz des Elternwerdens, die mit dem Spannungsfeld zwischen Glück und Schmerz, Ergriffenheit und Grenzerfahrungen einhergeht. Für Gläubige ist Geburt spirituell bedeutsam – ein Geschenk Gottes, ein Neubeginn oder fortwährende Neuschöpfung.
Zum Beispiel im Hinduismus wird die Geburt als eine «Reise der Seele» interpretiert, die mit einer Reihe von Ritualen verbunden ist. Lavanya Ramalingam, Wissenschaftlerin aus Sri Lanka, stellte am Frauenparlament die Traditionen aus ihrer Heimat vor: «Sie dienen dazu, dem neugeborenen Kind Schutz, Segen und einen guten Start auf seinem Lebensweg zu schenken.» Bereits vor der Geburt wird das werdende Kind mit dem Fest «Valaikappu» willkommen geheissen. Es findet im siebten oder neunten Monat der Schwangerschaft statt, wenn der Hörsinn des Fötus ausgebildet ist. Dabei legen Frauen der werdenden Mutter bunte Glasarmreife an, deren sanftes Klingen das Kind beruhigen und erfreuen soll. Die Zeremonie erinnert an die aus den USA stammende «Baby Shower» oder «Baby-Party», bei denen nahestehende Personen den werdenden Eltern zeigen, wie sehr sie sich auf das Baby freuen. Am 31. Tag nach der Geburt folgt im Hinduismus die Namensgebungszeremonie: Die Mutter schreibt den Namen des Babys zum ersten Mal auf ein mit Reis gefülltes Tablett und der Vater oder ein Priester flüstert ihn dreimal ins rechte Ohr des Neugeborenen. Der Name wird nach dem Horoskop gewählt und soll Persönlichkeit und Schicksal des Kindes positiv prägen. Am 41. Tag wird dem Kind zeremoniell der Kopf rasiert. Das erste Haar wird dabei vollständig entfernt – als Symbol für die Reinigung von unerwünschtem, altem Karma und zur Förderung gesunden Haarwuchses. Die abrasierten Haare werden oft als Opfergabe in einem Tempel dargebracht.
Unsere Existenz beginnt mit Sorgfalt. Darin sind sich alle vier Religionen einig. Das Leben ist Geschenk und Rätsel zugleich: Wer bin ich? Was ist der Sinn? Die Beantwortung dieser existenziellen Fragen beschäftigt uns ein ganzes Leben lang. Wie die katholisache Theologin Angela Bücher Sladkovic erklärte, lässt sich das Leben nicht kontrollieren. «Man muss mit Überraschungen rechnen.» Yasemin Duran schloss mit einem muslimischen Dankgebet: «Gesegnet sei Allah – Gott, der beste Schöpfer. Wer ausser Gott kann Leben auf so eine vollkommene Weise erschaffen, geschützt im Mutterleib, Schritt für Schritt in vollkommener Harmonie. Möge uns diese Erkenntnis stets daran erinnern, wie gesegnet wir sind, Teil dieses Wunders zu sein: als Eltern, als Kind, mit jüdischem, christlichem oder muslimischem Glauben.»
Interreligiöses Frauenparlament
Seit 2014 treffen sich Frauen alle zwei Jahre im Interreligiösen Frauenparlament, um ihr religiöses Leben selbstbestimmt zu gestalten und sichtbar zu machen.