«Für Papst Leo ist KI kein Teufelswerk»

Papst Leo XIV. ist Amerikaner, Mathematiker, er wirkt recht jung und fit. Was das für sein Pontifikat bedeutet, erklärt Mario Galgano (45). Der Schweizer Redaktor bei Vatican News hat ein Buch über den neuen Papst verfasst. 

Papst Leo XVI. und winkende Hände
Papst Leo XIV. beim Abschlussgottesdienst im Rahmen des Jugendjubiläums am 3. August 2025 auf dem Gelände von Tor Vergata in Rom.

Sie sind Redaktor bei Vatican News. Woran merken Sie bei Ihrer Arbeit, dass ein neuer Papst am Ruder ist?

Einerseits merkt man das an den Äusserlichkeiten. Er präsentiert sich anders als sein Vorgänger. Die ersten 100 Sekunden des Auftritts eines neuen Papstes zeigen oft auf, was wir für ein Pontifikat erleben werden. Papst Franziskus erschien mit weisser Soutane und sagte «Buonasera». Papst Leo trat mit der roten Stola, der sogenannten Mozzetta, auf den Balkon und trug einen Text vor. Seine ersten Worte waren: «Der Friede sei mit euch.» Schon in den ersten 100 Sekunden wurde deutlich: Das ist eine andere Persönlichkeit.

Bei Papst Franziskus mussten Medienschaffende jeweils auf Änderungen im Programm gefasst sein. Wie ist das bei Leo?

Franziskus war gewissermassen ein Protokollschreck. Leo XIV. hält sich eher an Protokolle. Franziskus handelte spontan, aus dem Bauch heraus. Leo ist eher überlegt. Das macht es sicherlich für einen Journalisten einfacher, weil es weniger überraschend ist. 

Ihr Buch vermittelt den Eindruck, die beiden tickten sehr ähnlich. Gibt es dennoch Unterschiede?

Leo ist nordamerikanischer, während Franziskus eher der Südamerikaner war, der eine gewisse Skepsis gegenüber dem Norden hatte. Leo ist zum Beispiel sehr offen, er versteht auch, dass es nicht nur eine Kultur gibt, nicht nur eine Art zu denken. Franziskus betonte die Ränder der Gesellschaft. Auch für Leo gibt es die Ränder, aber es gibt auch das Zentrum. Man sollte beide im Blick halten. 

Leo kommt selbst aus dem Norden, nämlich aus den USA. Warum ist das so ein Thema?

Ein Konklave ist jeweils eine kleine Revolution, so auch diesmal. Seit dem Mittelalter wurde niemand Papst, der aus einer Grossmacht stammte, damals etwa kein Spanier oder Franzose. Später konnte kein US-Amerikaner zum Papst gewählt werden, weil die USA eine Weltmacht sind. Man befürchtete, die Kirche würde zu stark eingenommen von der politischen Macht und dadurch einseitig. 

Die USA präsentiert sich gerade sehr als Weltmacht. Wie konnte er dennoch Papst werden? 

Mit Robert Prevost ist diese Hürde offensichtlich gefallen. Er hat gezeigt, dass er kein Amerikaner ist, der den Säbel schwingt und mit der US-Fahne Machtansprüche geltend macht. Es geht ihm vielmehr darum, Offenheit zu zeigen. Sicherlich kommt hinzu, dass er ein untypischer US-Amerikaner ist, weil er einen Grossteil seines Lebens als Missionar in Peru verbracht hat. Er war zudem lange in Rom. In ihm verschmelzen verschiedene Kulturen, und darin ist er sehr nordamerikanisch. 

Sie erwähnen, dass sein Bruder ein bekannter Trump-Fan ist. Wie steht Papst Leo zu Trump?

Bevor er zum Papst gewählt wurde, hat er den Vizepräsidenten der USA, J.D. Vance, auf Social Media kritisiert, weil dieser Augustinus falsch interpretiert hatte. Leo kritisierte, dass Vance eine Hierarchie in die Nächstenliebe bringe, wonach wir unsere Nächsten mehr lieben sollten als jene, die ein bisschen entfernt seien. Die Kritik zeigt, dass Prevost diese Linie nicht völlig gutheisst. Als Papst ist er vorsichtiger. Auch das unterscheidet ihn von Franziskus. Er verhält sich fast in einem schweizerischen Sinn neutral. Er ist sich seiner Rolle bewusst und äussert nicht einfach seine politische Meinung.

Der Untertitel Ihres Buches lautet: «Der Papst des Friedens». Leo ist gerade mal drei Monate im Amt. Muss er das nicht erst noch unter Beweis stellen?

Ja und nein. Sein erster Satz, «Friede sei mit euch», ist politisch und kirchenpolitisch zu verstehen. Nur eine katholische Kirche, die mit sich in Frieden ist, kann für Frieden nach aussen einstehen. Solange sie interne Grabenkämpfe austrägt, ist sie unglaubwürdig. Auch die Kirche muss bei sich selbst anfangen. Synodalität ist dazu ein wichtiges Werkzeug. Wenn wir es schaffen, aufeinander zu hören, kann auch die Welt trotz aller Unterschiede in Frieden und Eintracht leben. 

Inwiefern war er bereits aktiv auf Friedensmission?

Prevost wählte den Namen Leo. Sein Vorgänger Leo XIII. hatte sich im Vorfeld des Ersten Weltkriegs für Friedensgespräche eingesetzt. Da ein Papst immer auch Staatsoberhaupt ist, hat er die Möglichkeit, Politiker:innen eine Plattform anzubieten, damit Frieden möglich wird. Leo XIV. hat davon bereits Gebrauch gemacht. Er hat beispielsweise mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskji und dem russischen Präsidenten Putin über mögliche Friedensgespräche für die Ukraine gesprochen. Ob andere Staatsoberhäupter das annehmen, liegt nicht in seiner Macht. 

Dennoch gibt es auch in der katholischen Kirche durchaus Grabenkämpfe, etwa zwischen Reformerinnen, Reformern und Konservativen. Wo erleben Sie Leo als Bewahrer, wo als Erneuerer?

Er ist ein Bewahrer, wenn es um grundlegende Inhalte des christlichen Glaubens geht: Dass wir an Gott glauben, die Dreifaltigkeit, die Bedeutung der Mutter Gottes, dass Christus das Zentrum unseres Glaubens ist etc. Es ist die Aufgabe des Papstes, das immer wieder zu erinnern und zu verteidigen, gerade in einer Gesellschaft, in der christlicher Glaube nicht mehr selbstverständlich ist.

Und wo ist er ein Erneuerer? 

Die Frage, wie man das umsetzen will, wie wir diesen Glauben bezeugen wollen, das müssen wir gemeinsam organisieren. In diesem Sinn ist Leo ein Erneuerer. Da ist er sehr offen und betont die Synodalität: Wir sollen aufeinander hören, wie wir diesen Glauben leben möchten.

Was ist von Papst Leo erwarten in Bezug auf  «heisse Eisen» wie Pflichtzölibat oder Frauenpriestertum?

Ich glaube nicht, dass es beim Pflichtzölibat Änderungen geben wird. Was die Rolle der Frau betrifft, hat er wiederholt, was Franziskus dazu gesagt hat. Ich glaube nicht, dass er das Frauenpriestertum einführen wird. Er argumentiert damit, dass eine Klerikalisierung des Frauenamtes vermieden werden sollte. Die Frage ist, welche Rolle er Frauen sonst zugesteht, zum Beispiel in Führungspositionen. Also Mitbestimmung sowohl im staatlichen Bereich des Vatikan wie in der Führung der Kirche. Vielleicht werden Frauen etwa bei Bischofsernennungen eine grössere Rolle spielen.

Papst Leo und Mario Galgano schütteln einander die Hände

Wenn Mario Galgano Papst Leo trifft hat er den Eindruck, seinem Arbeitgeber zu begegnen. Galgano ist beeindruckt von der Wertschätzung des Papstes für seine Mitarbeitenden.

Leo XIV. ist 69 Jahre alt. Wie deuten Sie die Wahl eines verhältnismässig jungen Papstes?

Eines jungen und fitten Papstes! (lacht). Papst Leo ist nicht nur passiver Sportfan, er nimmt auch selbst den Tennisschläger in die Hand und geht ins Fitnessstudio. Offensichtlich haben die Kardinäle sich einen Papst gewünscht, der lange wirken soll und die Kirche prägen kann. Natürlich braucht es immer mal wieder frischen Wind, aber eine gewisse Kontinuität ist ebenso wichtig. Auf die sogenannten «heissen Eisen» kann man keine schnellen Antworten geben, die nur einen Teil der Kirche zufriedenstellen. Es geht darum, dass alle gemeinsam dahinterstehen können. In solche Antworten muss die Kirche hineinwachsen, denn sie lebt in Jahrhunderten und Jahrtausenden. Es braucht Zeit, bis die einzelnen kleinen Steinchen der Veränderung zu einer Kathedrale werden. Dass wir jetzt einen Papst haben, der wahrscheinlich ein längeres Pontifikat führen wird, zeigt: Wir haben jetzt die Zeit dafür, das aufzubauen.

Sie glauben also, dass ein langes Pontifikat eher eine Veränderung ermöglicht, weil man lange an diesen Themen dran sein kann.

Genau, man kann kontinuierlich an etwas arbeiten. Es kommt nicht sogleich etwas Neues, weil ein neuer Papst da ist. Wir haben das bei den Synoden gesehen. Es hat zwei Synoden im Abstand von mehreren Jahren gebraucht, nur um das Thema Synodalität anzupacken. Wenn man alle mitnimmt, auch die, die das heute vielleicht noch anders sehen, kommt man langsam, aber stetig vorwärts. Wir kennen das aus politischen Prozessen in der Schweiz.

Leo ist auch Mathematiker. Inwiefern wird ihm das als Papst nützen?

Päpste, die nicht nur einen theologischen Hintergrund hatten, wirkten eher revolutionär als andere. Pius XI. war sehr interessiert an Naturwissenschaften. Er hat den Vatikanstaat gegründet und die Kommunikation eingeführt, also die vatikanischen Medien. Heute ist es für uns selbstverständlich, dass wir wissen, was der Papst gesagt hat und wie er aussieht. Doch fast 2000 Jahre lang haben 99,9 Prozent der Menschheit und der Katholik:innen einen Papst weder gehört noch gesehen. Das hat ein Papst geändert, der ein wenig anders dachte. Einem Papst wie Leo XIV., der auch Naturwissenschaftler ist, traue ich zu, dass er gewisse Themen mit einem anderen als nur dem theologischen Ansatz betrachtet.

Was für Themen könnten das sein?

Die Basis von künstlicher Intelligenz und von IT ist die Mathematik. Für einen Mathematiker sind solche Technologien kein Teufelswerk, sondern er versteht, wie das funktioniert. Ein solcher Papst ist glaubwürdiger, wenn er beispielsweise etwas zu KI oder zur digitalen Welt sagt. 

Mir kommt in Ihrem Buch insgesamt ein sehr positives Bild dieses Papstes entgegen. Jeder Mensch hat aber auch Schattenseiten. Was für Schattenseiten hat Leo?

Er ist noch zu kurz im Amt, als dass ich dazu etwas sagen könnte. Zudem muss man sich für eine Biografie auf Quellen stützen. Robert Prevost hat allerdings bisher sehr wenig publiziert. Sogar seine Dissertation war nicht veröffentlicht. Meine Basis sind vor allem seine öffentlichen Auftritte. Da wirkt er charismatisch, offen und positiv. Sicherlich hat er auch Schattenseiten, aber die sind jetzt noch nicht ersichtlich.

Hatten Sie schon persönlich mit ihm zu tun?

Ja. Wie Franziskus und Benedikt wirkt er bescheiden und demütig. Aber bei Leo habe ich den Eindruck, da trifft man seinen Arbeitsgeber, der sein Gegenüber in den Vordergrund rückt. Er ist sehr offen gegenüber denen, die im Vatikan arbeiten. Er nimmt alle ernst und ist ihnen dankbar für ihre Arbeit, unabhängig von ihrer Position. Das hat mich sehr beeindruckt.

War das unter Franziskus anders? 

Franziskus war durchaus sehr kurienkritisch. Wenn der Chef die eigene Institution in Frage stellt, kommt das etwas schwierig rüber. Leo schätzt wirklich jeden und jede. Natürlich muss man die Institution auch hinterfragen, aber Leo ist einer, der sagt: «Ja, aber ich bin trotzdem froh und dankbar, dass du da bist». Das ist eine positive Botschaft, und dann macht es auch Freude, für diese Institution zu arbeiten.

Buchcover «Leo XVI. Der Papst des Friedens» von Mario Galgano.

erschienen 2025
im Paulinus Verlag
ISBN 978-3-7902-1788-9

aus der Buchbeschreibung:
«Mit journalistischem Gespür und spirituellem Tiefgang beleuchtet Galgano die Herkunft und Prägung des neuen Papstes, seine theologischen Überzeugungen und die ersten Gesten seines Pontifikats.»