Leo XIV. hat bereits in seinen ersten 100 Tagen als Papst ein bemerkenswertes Profil gezeigt. Er setzt – auch in Ton und Inhalt – Akzente, die ihn in mancher Hinsicht von seinem Vorgänger Franziskus unterscheiden. Zugleich baut er auf dessen Impulse auf. In einem Grusswort an die FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO) bezeichnete er Hunger als «Kriegswaffe», forderte Sanktionen gegen jene, die Hunger gezielt einsetzen und rief zu konkretem Handeln statt blosser Rhetorik auf. Damit unterstreicht er die politische und moralische Stimme des Papstes in globalen Krisen.
Auch innerkirchlich hat Leo XIV. bereits deutliche Signale gesetzt. Wiederholt rief er zur Fortsetzung der Konzilserneuerung auf. In Ansprachen an Ordensleute warb er für eine einfache, vom Evangelium geprägte Lebensform. Für ihn gehören geistliche Tiefe und kirchliche Reform eng zusammen. In der Ökumene zeigte er sich ebenfalls von Beginn an engagiert: Begegnungen mit Vertretern der orthodoxen Kirchen – etwa aus Konstantinopel oder der ukrainisch-griechisch-katholischen Kirche – waren vom Wunsch nach sichtbarer Einheit geprägt. Dabei setzt er auf Dialog auf Augenhöhe und konkrete Schritte.
In Fragen der kirchlichen Selbstverantwortung hat Leo XIV. früh Haltung gezeigt. Den Rücktritt des Abtes von Saint-Maurice begrüsste er als Teil eines transparenten Aufarbeitungsprozesses und betonte die Notwendigkeit institutioneller Reformen. Damit unterscheidet er sich deutlich von seinem Vorgänger Franziskus, der oft nur symbolisch oder gestisch auf Missstände reagierte. Auch in liturgischen und pastoralen Fragen betont Leo XIV. Stabilität und geistliche Verwurzelung. Bei einer Audienz mit Ordensfrauen rief er dazu auf, Christus als Wurzel zu vertiefen, damit die Kirche im Alltag glaubwürdig Zeugnis geben könne. Hier wird eine Rückkehr zu biblischen Fundamenten sichtbar, während Franziskus eher charismatisch agierte.

Mario Galgano ist Historiker und Journalist. Von 2004 bis 2006 war er Mediensprecher der Schweizer Bischofskonferenz. Seit 2006 ist der Historiker Redaktor bei der deutschsprachigen Abteilung von Vatican News.
Christoph Wider
Im öffentlichen Auftreten liegt zwischen beiden Päpsten ein spürbarer Unterschied. Franziskus war impulsiv, emotional und oft überraschend direkt. Leo XIV. hingegen wirkt gelassener, reflektierter und in seinen Aussagen weniger auf mediale Wirkung ausgerichtet. Während Franziskus Themen wie Migration, Umwelt oder die Stimme der Peripherien betonte, stellt Leo XIV. Ordnung, Klarheit und institutionelle Verantwortung in den Vordergrund. Seine Reformvorstellungen scheinen strukturierter und nachhaltiger gedacht: Er will nicht nur Denkanstösse geben, sondern konkrete Prozesse schaffen – sichtbar etwa in der Einbindung von Governance-Kommissionen oder seiner Reaktion auf kircheninterne Krisen.
Auch in der Aussenpolitik zeichnet sich ein neuer Stil ab. Während Franziskus persönliche Begegnungen gesucht hat, scheint Leo XIV. einen diplomatischen Langstreckenkurs zu verfolgen. Seine Reden zu internationalen Organisationen oder seine ökumenischen Initiativen deuten auf eine systematische Positionierung der Kirche als globale moralische Akteurin hin.
Insgesamt präsentiert sich Papst Leo XIV. als konsequenter, strukturiert denkender Pontifex, der weniger auf Überraschungen, dafür aber auf nachhaltige Dynamik setzt. Er baut auf das Pontifikat von Franziskus auf, aber mit einem anderen methodischen Zugriff: weniger Rhetorik, mehr Struktur.