Mit gespitztem Bleistift und gezückter Kamera will ich gerade meinen Platz im Schatten beziehen, als mir jemand ein blaues Trikot zuwirft: «Wir bräuchten dringend noch eine Mitspielerin!» Am letzten Tag des heissen Juni treffen sich auf der Sportanlage Hardhof in Zürich-Altstetten der FC Religionen und der FC Kantonsrat Zürich zum traditionellen Fussballspiel. Während der FC Religionen sich bereits auf dem Rasen einläuft, müssen sich die Gegner noch sortieren. Die Zürcher Kantonsräte scheuen zwar keine noch so hitzige Debatte im Ratssaal, auf den Fussballplatz bei über 30 Grad haben es aber von 180 Mitgliedern nur 10 geschafft. Da muss im Notfall auch eine Pfarrblattredaktorin genügen.
Die Idee, ein multireligiöses Fussballteam auf die Beine zu stellen, hatte Christoph Sigrist, damals Pfarrer am Grossmünster, anlässlich der Europameisterschaft 2008. Felix Reich, Chefredaktor von «reformiert.» stiess 2012 zum Team. Seither organisiert er die Trainings und Spiele. Vor dem Anpfiff versammeln sich alle um den Mittelkreis. «In dieser Zeit, die den interreligiösen Dialog vor Herausforderungen stellt, wollen wir ein Zeichen für den Zusammenhalt setzen», sagt Felix Reich, «wir lassen uns nicht spalten.» Beide Teams halten vereint eine Schweigeminute und ein stilles Gebet für den Frieden. Dann eröffnet Christoph Sigrist als Schiedsrichter das Spiel. Die Partie ist ausgeglichen und die Freude am gemeinsamen Spiel offensichtlich. Beide Teams haben einen aufmerksamen Goalie, so dass das erste Tor erst nach 15 Minuten fällt. 1:0 für den FC Religionen. Der Kantonsrat kämpft sich zwar immer wieder vors gegnerische Tor, ist dort aber noch zu wenig organisiert und damit zu wenig gefährlich. Wenn der FC Religionen den Ball erwischt, geht es rascher: zwei, drei Pässe und Schuss aufs Tor. 3:0 steht es zur Halbzeit.
Fussball dreht die Prioritäten um: Das Spiel ist die Hauptsache und macht alles andere zur Nebensache. Ob der Mitspieler andere politische Ansichten vertritt oder andere religiöse Gebote befolgt, spielt keine Rolle. Man hat das gleiche Ziel, befolgt die gleichen Regeln, gewinnt oder verliert gemeinsam. Einer, der da ist, wenn man eine Anspielstation braucht, ist Gold wert. Der FC Religionen harmoniert an diesem Abend ein wenig besser als seine Konkurrenten. Es ist spürbar, dass die Spieler sich kennen und einander vertrauen. Weil die Seelsorger, Imame und Kirchenjournalistinnen und -journalisten auch offensiv mehr Durchschlagskraft haben, steht es beim Abpfiff 4:1 für den FC Religionen. Beim FC Kantonsrat trauern einige den verpassten Chancen und fehlenden Zentimetern nach – aber nur kurz. Sie sind es sich von Amtes wegen gewohnt, Rückschläge einzustecken und bei Bedarf die Taktik anzupassen. Die nächste Gelegenheit kommt bestimmt.
Beim Zusammensein mit gemeinsamem Nachtessen vor der Cafeteria gehen die Gespräche über Religions- und Parteigrenzen hinweg, einer der Kantonsräte heckt mit einem Pfarrer ein gemeinsames Projekt aus. Gäbe es den FC Religionen nicht, man müsste ihn erfinden.