An Sie und das Zentrum für Islam und Gesellschaft wenden sich auch Behörden. Was fragen diese?
Ein Gemeindepräsident will wissen, wie er mit der Anfrage einer muslimischen Gemeinschaft nach Räumlichkeiten umgehen soll. Jemand fragt, warum es in seiner Stadt vier unterschiedliche Moscheen gibt und nicht nur eine einzige. Der Kanton Zürich hat uns beauftragt, den Ausbildungslehrgang «Zürich-Kompetenz» zu entwickeln. Hier werden Imame und muslimische Betreuungspersonen ausgebildet, um mit öffentlichen Institutionen zusammenzuarbeiten. Wir bieten zudem Weiterbildungen für Sozialarbeitende, Polizeicorps und Behördenmitglieder an, vor allem zum Thema Prävention und Radikalisierung.
Was ist die wichtigste Information, die Sie vermitteln?
Die muslimischen Gemeinschaften sind mindestens so vielfältig wie das Christentum mit seinen Konfessionen und unterschiedlichen Richtungen. Und: die Moschee ist nicht nur ein Ort des Gebets. Hier passiert viel im Bereich von Bildung und sozialer Hilfe. Wenn das wahrgenommen wird, entstehen Kooperationsfelder, so dass Moscheen und muslimische Vereine Orte der Integration und des gesellschaftlichen Engagements werden.
Ihr Zentrum hat im Auftrag des Bundes die erste Grundlagenstudie über antimuslimischen Rassismus gemacht. Die wichtigste Erkenntnis?
Unsere Studie zeigt, dass Musliminnen und Muslime oft nicht als Individuen, sondern als Vertreterinnen und Vertreter eines als radikal verstandenen Islam wahrgenommen werden. Das ist ein weit verbreitetes Missverständnis: radikale Ideologien werden mit dem Islam gleichgesetzt. Das verletzt gläubige Muslime und grenzt sie aus. Sie wenden sich daher oft an uns mit Fragen, wie sie damit umgehen sollen. Es sind Themen wie Diskriminierung, Rassismus, Umgang mit öffentlichen Debatten. Sollen wir Stellung nehmen? Wenn ja, wie?
Es gibt aber Menschen, die radikalen islamischen Ideologien anhängen. Wie erkennt man sie?
Viele meinen, dass das an äusseren Zeichen sichtbar wird. Am Kopftuch zum Beispiel, oder am langen Bart. Aber auch hier gilt es als erstes, Diversität wahrzunehmen: Musliminnen können ihr Kopftuch als Zeichen besonderer Gläubigkeit tragen, als modisches Accessoire oder als Zeichen kultureller Zugehörigkeit. In der Regel absolut selbstbestimmt und nicht in patriarchaler Abhängigkeit. Und Bärte tragen auch Männer, die nichts mit dem Islam zu tun haben.
Wie lässt sich denn Radikalisierung verhindern, wenn sie nicht sichtbar ist?
Prozesse der Radikalisierung sind von unterschiedlichen Faktoren geprägt. Oft sind es Erfahrungen von Ausgrenzung, von familiärer Gewalt, von fehlender Bestätigung im sozialen Umfeld … das alles kann Menschen empfänglich machen für radikale Botschaften, die sie oft im Internet finden: Online-Prediger oder YouTube-Sheiks bestärken das Gefühl, ein Opfer zu sein, und bieten einen Lebenssinn in einer exklusiven islamischen Ideologie an. Daher ist Integration, die in Zusammenarbeit mit den muslimischen Gemeinschaften gefördert wird, die beste Prävention.
Und diese Identitätsbildung will das SZIG fördern?
Genau. Unser CAS-Studiengang und die Weiterbildungen haben wir mit den Vertretungen der muslimischen Gemeinschaften gemeinsam entwickelt. Sie antworten auf Fragen zur Begleitung und Seelsorge muslimischer Personen hier in der Schweiz. Die Hälfte der Teilnehmenden sind übrigens Frauen. Sie spielen eine zentrale Rolle für die muslimischen Gemeinschaften. Als Religionslehrerinnen oder Seelsorgerinnen in Spitälern bringen sie wichtige Kompetenzen ein.
Hansjörg Schmid ist Professor für interreligiöse Ethik und seit Beginn Direktor des Schweizerischen Zentrums für Islam und Gesellschaft (SZIG) an der Universität Freiburg i. Ue.
www.unifr.ch/szig