Erstbesteigung: Pfarrer Stefan Staubli ist seit 17 Jahren in der Pfarrei und besteigt heute zum ersten Mal den Turm der Kirche. Es habe sich bislang einfach nicht ergeben, kommentiert er und schiebt nach: «Ich bin gern am Boden unten.» Mit von der Partie ist Sakristan Carlo Corazolla, der Winterthur wie seine Westentasche zu kennen scheint. Auch den katholischen Teil von Winterthur: Das heutige Quartier Neuwiesen, auf das man durch die Turmfenster sieht, sei nämlich ursprünglich «die katholische Seite» gewesen, vom Bahnhof aus betrachtet. Wie in einem Ghetto hätten sich – vor gut 160 Jahren, als hier noch Kiesgruben und Gärtnereien gewesen waren – die katholischen Arbeiterfamilien angesiedelt. Nicht einmal eine Bahnhofs-Unterführung auf die andere Seite der Stadt habe es gegeben. Bahnhof und Kirche seien dabei etwa gleich alt – der Bahnhof habe viele katholische Arbeiter hierhergebracht, die meisten von ihnen aus Süddeutschland. Ihretwegen und dank ihres Engagements sei dann die Kirche erbaut worden: 1897 eingeweiht, als erste katholische Kirche im Kanton Zürich nach der Reformation.
Heute ist natürlich auch Neuwiesen bunt durchmischt und lange schon verbinden Unterführungen durch den Bahnhof die Stadtteile. Stefan Staubli nützt sie, wenn er mit dem Velo unterwegs ist, und das sei er viel und gern. Auch auf Seelsorgebesuche, oder wenn er ins nahe Kantonsspital fährt, um eine Krankensalbung zu spenden. Der Neubau des Spitals ist Richtung Nordosten gut sichtbar, den Blick weiter gedreht nach Südosten ragen die beiden schönen Türme der reformierten Stadtkirche aus dem Häusermeer. Nach Westen wiederum erhebt sich der bewaldete Brühlberg. Winterthur sei auf Hügeln gegründet – «wie Rom!», lacht Stefan Staubli.