
Ruedi Widmer
Ich liebe an Vorhersagen, dass ich sie bei Nichtgefallen umtauschen kann. Wenn für mein Sommerfest die Wetter-App ein Gewitter prophezeit, dann hüpfe ich von Wetter-App zu Wetter-App, bis ich auf jene Prognose stosse, die mir nichts als Sonnenschein verspricht. Sogar Fake-Vorhersagen kriegen bei meinem Wunschdenken eine Chance.
Auf meiner Couch der Selbstdiagnose stelle ich also fest: Meine Erwartung an Vorhersagen ist unentschieden. Sie sollen mich vor bösen Überraschungen bewahren. Sollten sie aber eine böse Überraschung ankündigen, dann glaube ich felsenfest an die Fehlerquote. Ich wette auf Zuverlässigkeit und gleichzeitig auf Unzuverlässigkeit. Sicher ist sicher.
Wenn es nach mir geht, dann sind Vorhersagen nur so lange hilfreich, wie sie das ankündigen, was ich mir wünsche.
Und dann kommt der «Tages-Anzeiger» und lässt mich auf meinen eigenen Tod wetten. Mit einer interaktiven Simulation verspricht er mir die Antwort auf die Frage: «Wann werde ich sterben?» – Meine Prognose: Die grosse Mehrheit simuliert nun so lange, bis sie das Maximum an Lebenserwartung herausgeholt hat. Und ein paar unentwegte Hypochonder pröbeln ebenso krampfhaft, damit die Lebenserwartung endlich runterkommt.
Selbst Gott hat offenbar ein schwieriges Verhältnis zu Prophezeiungen. Er schickt Jonas in die Stadt Ninive, um ihr den Untergang wegen Sündenpfuhlerei anzudrohen. Aber dann revidiert Gott seine Vorhersage so oft, bis sein Prophet Jonas sich schliesslich völlig entnervt in einen Sitzstreik begibt.
Das Nonplusultra aller Vorhersagen ist natürlich der Weltuntergang. Diese Prophezeiung ist allerdings mit einem Dilemma verknüpft: Sollte sich die Vorhersage erfüllen, wäre für die Propheten auch kein Podest mehr da, auf das sie sich triumphierend stellen könnten. Also machen sie es mit ihrer Prophezeiung wie wir alle: Sie aktualisieren sie vergnügt von Nicht-Weltuntergang zu Weltuntergang zu Nicht-Weltuntergang.