Politik nach dem Evangelium

Die Diplomatin Manuela Leimgruber ist Schweizer Botschafterin beim Heiligen Stuhl. Ein Gespräch über ihren Auftrag an der Schnittstelle von Politik, Religion und Gesellschaft.

Porträt von Manuela Leimgruber

Manuela Leimgruber ist die zweite Schweizer Botschafterin beim Heiligen Stuhl, die in Rom residiert – und die erste Frau.

Was war Ihr erster Gedanke, als Sie im Jahr 2022 erfuhren, dass Sie Botschafterin beim Heiligen Stuhl werden?

Ich habe mich sehr gefreut. Ich hatte mich für diese Aufgabe beworben – weil mich die Schnittstelle von Politik und Religion sehr interessiert.

Was interessiert Sie?

In meiner Zeit als Diplomatin in Kolumbien und in Kenia habe ich erlebt, welchen gesellschaftlichen Einfluss religiöse Gemeinschaften haben können. Sie verfügen oftmals über ein weitreichendes Netzwerk, das helfen kann, Menschen zu erreichen. Die katholische Kirche ist in Regionen präsent, auch in Krisengebieten, wo andere Akteure oft nicht mehr präsent sind. Darüber hinaus geniessen religiöse Führungspersönlichkeiten Autorität. Sie können beispielsweise Einfluss darauf haben, ob ein Friedensabkommen abgeschlossen wird oder nicht. Religiöse Komponenten spielen gerade in nicht säkularen Gesellschaften eine wichtige Rolle. Diesen Rechnung zu tragen, ist auch für die Diplomatie von Interesse.
Mit dem Heiligen Stuhl haben wir dabei verschiedene Anknüpfungspunkte.

Zum Beispiel Frieden und Menschenrechte?

Ja, die Friedenszusammenarbeit ist ein grosses Thema – und Papst Franziskus hat sich hier sehr engagiert. Künstliche Intelligenz und humanitäres Völkerrecht sind weitere Themen, die den Heiligen Stuhl ebenfalls beschäftigen. Darüber hinaus Menschenrechte wie etwa das Engagement gegen die Todesstrafe oder für die Religionsfreiheit. Wir stehen über solche Themen im Austausch mit der Kurie, aber auch mit der Laiengesellschaft Sant’Egidio oder mit anderen Religionsgemeinschaften.

Manuela Leimgruber (*1971) ist Juristin und trat 2001 in den diplomatischen Dienst beim Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten ein. Ihre Missionen führten sie unter anderem nach Israel, Italien, Kolumbien und Kenia. Seit 2023 ist sie Botschafterin beim Heiligen Stuhl. Sie ist zusätzlich in der Republik Malta und der Republik San Marino akkreditiert. Leimgruber ist im Fricktal, in der Region Basel aufgewachsen.

Um die Einlösung von Frauenrechten ist es in der römisch-katholischen Kirche allerdings nicht gut bestellt.

Papst Franziskus wollte einen Kulturwandel herbeiführen. Er hat Frauen Führungspositionen im Vatikan übertragen. Damit ermöglichte er den Austausch zwischen Frauen und Männern auch innerhalb des Vatikans, wo doch vorwiegend Männer aktiv sind. Der Austausch zwischen Geschlechtern fördert aus meiner Sicht den gegenseitigen Respekt und ein Verständnis über unterschiedliche Bedürfnisse und Erfahrungen.

Welche Reformen wünschen Sie sich von der Kirche?

Die Schweiz macht keine Kirchenpolitik. So wie wir uns in anderen Staaten nicht in innenpolitische Fragen einmischen, ist es nicht an der Schweiz, sich bei der katholischen Kirche in kirchenpolitische Fragen einzumischen. Das ist nicht unser Auftrag.

Welches Interesse verfolgt die Schweiz, diplomatische Beziehungen mit dem Heiligen Stuhl zu pflegen?

Es geht darum, Kontakte zu knüpfen und Informationen, die von wechselseitigem Interesse sind, auszutauschen. Durch unsere Präsenz hier haben wir einen einfacheren Zugang zur Römischen Kurie und können mögliche Themen für eine Zusammenarbeit ausloten.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Bei der Friedensarbeit oder beim Engagement gegen die Todesstrafe gibt es verschiedene Übereinstimmungen. Mit dem Heiligen Stuhl können aber auch heikle Themen wie etwa Missbrauchsfälle thematisiert werden. Sowohl Bundespräsident Alain Berset als auch Bundespräsidentin Viola Amherd haben das Thema angesprochen und auch die Erwartungen des Bundesrates kommuniziert – eine gründliche Aufarbeitung sowie eine effektive Missbrauchsbekämpfung.

Meinen Sie, der Papst hat das gehört?

Papst Franziskus hat viele Anstrengungen unternommen, gegen Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche vorzugehen. Dazu gehört die Kooperation mit den staatlichen Strafverfolgungsbehörden: Bischöfe müssen gemäss Kirchenrecht mögliche Missbrauchsfälle an diese melden. Die Strafverfolgung ist in erster Linie Sache des Staates, das Kirchenrecht kann dann noch eigene Sanktionen vorsehen. Nach unserem Verständnis handelt es sich dabei um Disziplinarrecht, vergleichbar etwa mit Disziplinarstrafen im Zusammenhang mit einer Anstellung.

Wie würden Sie die Politik des Heiligen Stuhls beschreiben?

Bei der Aussenpolitik stützt sich der Heilige Stuhl auf das Evangelium.

Löst der Vatikan diesen Anspruch ein?

Die Friedensbemühungen sind für mich Ausdruck dafür. Papst Franziskus engagierte sich aber auch in der Nächstenliebe, er war jenen nahe, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Auch das Umweltengagement mit dem kirchlichen Rundschreiben «Laudato Si’» und deren Ergänzung «Laudate Deum» zeigen die Verbindung von Evangelium und Politik. «Laudate Deum» war ein direkter Beitrag des Papstes für die Klimakonferenz 2023 in Dubai (COP 28), in dem die Notwendigkeit thematisiert wird, die Schöpfung zu erhalten.

Welche Rolle spielt Religion für die Ausübung Ihres Amtes?

Die meisten Schweizer Botschafter beim Heiligen Stuhl waren bisher reformiert. Ich bin katholisch. Unabhängig davon, welcher Religion einzelne Botschafterinnen und Botschafter angehören, nimmt das diplomatische Corps an grossen Messen teil. Das wird einerseits erwartet. Andererseits sind die Messen Orte, an denen auch politische Botschaften übermittelt werden. Ein Papst spricht in Form von Gebeten und Messen zu den Gläubigen – und so auch zu den Botschafterinnen und Botschaftern.

Fehlt Ihnen im Vatikan nicht die Demokratie?

Der Vatikan ist kein Land im klassischen Sinn, in dem eine Bevölkerung ihr Zusammenleben regeln muss. Es stellen sich andere Fragen. Ich masse mir nicht an, eine Meinung zu haben, ob Kirchenfragen auf Ebene der Kurie demokratisch gelöst werden müssen oder nicht. Ich stelle nur fest, dass der Gedanke des Miteinanders Teil der Synodalität ist, welche für Papst Franziskus so wichtig war. Durch diesen breiten Austausch mit Vertretern und Vertreterinnen rund um den Erdball fliessen unterschiedliche Ansichten und Erfahrungen in Entscheide des Vatikans ein.

Sie sind Schweizerin. Hat die «Swissness» hier im Vatikan eine bestimmte Bedeutung?

Durch die Schweizergarde hat die Schweiz die Türen beim Heiligen Stuhl offen. Papst Franziskus hatte ein sehr positives Bild von der Schweiz, das geprägt war von seinen Erfahrungen mit den Gardisten. Vertrauensvoll, respektvoll, zuverlässig und arbeitsam waren positive Stereotypen, welche auch er mit der Schweiz verband.

Wie sieht ein Tag im Leben einer Botschafterin aus?

Mein Sohn bemerkte einmal, ich sei eigentlich hauptsächlich am Computer… Meine Tage sehen unterschiedlich aus. Sie beginnen immer mit den Neuigkeiten des Tages, die ich mir schon beim Zähneputzen anhöre. Gestern zum Beispiel besprach ich am Morgen mit meinem Betriebsleiter Buchhaltungs- und Personalfragen, wir sind als Botschaft ja auch ein Betrieb. Im Anschluss empfing ich eine wichtige Kontaktperson. Danach musste ich einen Bericht über ein anderes Akkreditierungsland fertigstellen. Neben dem Heiligen Stuhl bin ich auch noch für Malta und San Marino zuständig. Am Abend traf ich mich mit Kollegen und Expertinnen, um über die Wahl des neuen Papstes zu sprechen.

Sie sind die erste Frau als Botschafterin der Schweiz am Heiligen Stuhl. Wie erleben Sie die vatikanische Männerwelt?

Über 180 Vertretungen sind beim Heiligen Stuhl akkreditiert, wovon 90 vor Ort sind. Rund ein Drittel dieser Vertretungen hier in Rom werden von Frauen geführt. Die Botschafterinnen pflegen ein informelles Netzwerk untereinander – das habe ich so in keinem anderen Land erlebt. Den Umgang mit Vertretern im Vatikan erlebe ich als respektvoll. Ich habe nicht das Gefühl, dass wir Frauen weniger Zugang haben.

Was wünschen Sie sich vom neuen Papst?

Dass wir es rasch schaffen, einen guten Kontakt mit ihm aufzubauen. Da hilft uns immer auch die Schweizergarde. Im Herbst soll die Vereidigung der neuen Gardisten nachgeholt werden, das ist eine gute Gelegenheit für offizielle Gespräche auf höchster Ebene.

Das Gespräch wurde am 6. Mai 2025 geführt, als Papst Leo XIV. noch nicht gewählt war.

Die Schweizer Botschaft beim Heiligen Stuhl wurde am 5. Mai 2022 von Bundespräsident Ignazio Cassis eröffnet. Nach Botschafter Denis Knobel (*1961) ist Manuela Leimgruber die zweite Botschafterin beim Heiligen Stuhl, die in Rom residiert.

1873 im Zuge des Kulturkampfes wurden die Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Heiligen Stuhl abgebrochen. Wieder Türen geöffnet hat die humanitäre Zusammenarbeit im ersten Weltkrieg, um nach fast 50-jährigem Unterbruch wieder offizielle Beziehungen aufzunehmen. 1920 eröffnete der Heilige Stuhl eine Nuntiatur in Bern, ohne dass dabei die Schweiz aber von ihrem Gegenrecht Gebrauch machte. Die Irritationen um Bischof Wolfgang Haas in den 1990er Jahren bewogen die Schweiz, einen Botschafter in Sondermission für den Heiligen Stuhl zu ernennen. Ab 2004 wurden bevollmächtigte Schweizer Botschafter beim Heiligen Stuhl akkreditiert. Eine Vertretung in Rom beim Heiligen Stuhl wurde 2022 eröffnet, mehr als 100 Jahre nach der Eröffnung der Nuntiatur in Bern.

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