Christliches Generationen-Wohnen neben dem Kloster Fahr

Seit zwei Jahren leben in der ehemaligen Bäuerinnenschule im Kloster Fahr 45 Menschen verschiedenen Alters in einem christlichen Generationenwohnen zusammen. Eine Dokumentation und ein Besuch vor Ort zeigen, wie das Zusammenleben funktioniert.

In der ehemaligen Bäuerinnenschule beim Kloster Fahr leben nun mehrere Generationen zusammen.
Der Prozess begann Ende 2018 und dauerte bis zum Bezug Mitte 2023 viereinhalb Jahre: Aus der Bäuerinnenschule ist das Generationenwohnen entstanden.

Im Mai 2025 ist eine Projektdokumentation erschienen, sie heisst «erfahrbar» und beschäftigt sich mit dem christlichen Generationenwohnen in der ehemaligen Bäuerinnenschule beim Kloster Fahr. Darin ist zu lesen:

«Mehr als 4000 Frauen haben in der Zeit zwischen 1944 und 2013 die Bäuerinnenschule Kloster Fahr besucht. Das Benediktinerinnenkloster prägte damit Generationen von Frauen in der Landwirtschaft. Im Jahr 1964 baute das Kloster dafür ein grosses Wohn- und Schulgebäude. Aus Ressourcengründen beschloss der Konvent 2013, die Schule zu schliessen. Die Diskussion darüber, wie die Gebäude weitergenutzt werden sollten, begann.»

Der Inspirationsabend, zu dem sich die Benediktinerinnen des Klosters Fahr und die Bewohnenden des christlichen Generationenwohnens in der ehemaligen Bäuerinnenschule monatlich treffen, beginnt um 19.30 Uhr mit der Feier der Komplet in der Klosterkirche. Als die Schwestern vorne im Chor die ersten Töne singen, finden die Frauen und Männer in den Bänken zielsicher die richtige Stelle im Buch und stimmen ins Gebet ein. Wer zuhört, spürt: Die Benediktinerinnen und ihre Nachbarn haben die gemeinsame Frequenz gefunden.

Die Benediktinerinnen und ihre Nachbarn haben die gemeinsame Frequenz gefunden.

Seit zwei Jahren wohnen in den umgebauten Gebäuden der ehemaligen Bäuerinnenschule des Klosters Fahr 45 Personen in 16 Wohnungen. Das Wohnhaus befindet sich im Gegensatz zum Klostergebäude, das eine aargauische Exklave ist, im Kanton Zürich und gehört zur Gemeinde Unterengstringen. Nach der Adresse Chlosterstrasse 11 nennt die Gemeinschaft ihr Zuhause schlicht «Fahr 11».

Die Projektdokumentation sagt: «Am 8. November 2017 erregt eine unübliche Ausschreibung die Aufmerksamkeit der Immobilienszene: Das Kloster Fahr suchte zusammen mit dem Zürcher Immobilien-Dienstleister Wüest Partner Investoren, Nutzer und Betreiber für seine Annexgebäude und Betriebe. Auf die Ausschreibung des Klosters hin bewarb sich Anfang 2018 die Gruppe erfahrbar, bestehend aus der Gemeinschaft Guggenbühl, der Pensionskasse Prosperita sowie Partnern aus Architektur, Landwirtschaft und Gastronomie. Ihr Vorschlag: die Umsetzung eines christlichen Generationenwohnens in der ehemaligen Bäuerinnenschule. Die Gruppe erhielt den Zuschlag, auch wegen ihrer spirituellen Nähe zum Kloster.»

Nach der Komplet treffen sich alle im Gemeinschaftsraum, der sich über den Bach und damit über die Kantonsgrenze zwischen Zürich und Aargau spannt. «Wer will, kann hier mit einem Schritt das Bistum wechseln», sagt eine der Schwestern mit einem vergnügten Zwinkern. Priorin Irene Gassmann eröffnet die Runde mit einem Rückblick auf vergangene Inspirationsabende. In den letzten zwei Jahren haben sich die Benediktinerinnen und die Bewohnenden regelmässig über die Benediktsregel ausgetauscht und einander gegenseitig von ihrem Glauben erzählt. Priorin Irene Gassmann sagt: «Diese Abende helfen, dass wir uns spirituell kennen lernen. Das ist für uns Schwestern eine Bereicherung. So ist eine Verbindung zu unseren Nachbarn entstanden.»

Zurück zur Projektdokumentation: «Bauvorhaben in der direkten Umgebung von historischen Gebäuden sind nie 0815-Projekte. Entsprechend brauchten Investor und Initiantinnen von «erfahrbar» einen langen Atem, um den Umbau der alten Bäuerinnenschule zur Bewilligung zu führen. Der Prozess begann Ende 2018 und dauerte bis zum Bezug Mitte 2023 viereinhalb Jahre.»

Priorin Irene Gassmann und ihre Nachbarinnen freuen sich über die druckfrische Projektdokumentation «erfahrbar».

Zwei Jahre nach dem Einzug ist heute ein besonderer Abend. Die Age-Stiftung, die das christliche Generationenwohnen finanziell gefördert hat, gab eine Dokumentation des Projekts in Auftrag, die jetzt vorliegt. Die Autorinnen der Dokumentation, die Historikerinnen und Klosterexpertinnen Ruth Wiederkehr und Annina Sandmeier-Walt, überreichen den Bewohnerinnen und Bewohnern einen Karton mit druckfrischen Broschüren. Auf 40 Seiten ist die Entstehung des Generationenwohnens «erfahrbar» von der ersten Idee bis heute nachzuvollziehen. Julia Neuenschwander ist Präsidentin des Vereins «erfahrbar». Sie entwickelte zusammen mit ihrem Mann Ueli und dem befreundeten Ehepaar Melanie und Roger Meyer vor Jahren die Vision eines christlichen Generationenwohnens, suchte Projektpartner und hielt beharrlich an der Idee fest. Die Dokumentation nun in den Händen zu halten, ist für Neuenschwander eine grosse Freude: «Der Bericht hält fest, dass das Zusammenleben hier im Haus und die Nachbarschaft zu den Benediktinerinnen so funktionieren, wie ich es gehofft und geglaubt habe.»


Das Zusammenleben und die Nachbarschaft mit den Benediktinerinnen funktionen so, wie gehofft.

Im ersten Jahr galt es, voneinander zu lernen, sich manchmal aber auch auszuhalten. Die Gemeinschaft habe den Rank immer wieder gefunden, sagt Neuenschwander. Dabei helfe die Bitte um Vergebung im wöchentlichen Gebet: «Wenn wir einander immer wieder vergeben, können wir gemeinsam im Guten weitergehen.»

«Wer möchte so leben?», hätten manche Leute bei der Entstehung des Projekts gefragt. Jetzt, wo das Generationenwohnen im Fahr 11 läuft, zeigt sich: Es gibt viele Leute, die so leben wollen. Der Verein «erfahrbar» erhält jede Woche Anfragen, ob noch eine Wohnung frei sei. Sie sagt: «Das gemeinschaftliche, christlich ausgerichtete Zusammenleben scheint einen Nerv zu treffen.» Neuenschwander selbst hat sich dank ihrer Erfahrung mit «erfahrbar» und diverser Weiterbildungen zur Expertin für den Aufbau gemeinschaftlicher Wohnmodelle entwickelt. Sie berät und begleitet diverse kirchliche Nutzungsentwicklungen von Immobilien in der Schweiz und in Deutschland.

Dass eine Lebensgemeinschaft nur Mutter, Vater und ein, zwei Kinder umfasst, ist eine relativ junge Idee. Die Historikerin Ruth Wiederkehr sagt: «Früher waren die Menschen in Familienverbände eingebunden. Dazu gehörten die Grosseltern, ledige Tanten, die Knechte und Mägde. Heute sei alles viel zerstückelter, stellt Neuenschwander fest: «Als wir Kinder bekamen, merkten wir, dass dieses Fragmentierte ein Stressfaktor ist: Hier die Kita, da die Arbeitsstelle, dort die Grosseltern…». Und über allem schwebe die Prämisse, alles innerhalb der kleinen Familie zu schaffen, gibt Wiederkehr zu bedenken.

Dass eine Lebensgemeinschaft nur Mutter, Vater und ein, zwei Kinder umfasst, ist eine relativ junge Idee.

Diese Prämisse gilt im «erfahrbar» nicht. Die Dokumentation hält fest, dass die gemeinsamen Aktivitäten und die Begegnungen in den gemeinsam genutzten Räumen viel Lebensqualität bringen. «Wenn man Hilfe braucht, ist immer jemand da» und «Unsere Nachbarschaft ist verbindlich und Kompromisse gehören zum Alltag – daran kann ich wachsen», sagen die Bewohnerinnen und Bewohner.

Und doch hat im Fahr 11 jede Familie oder Einzelperson ihre eigene marktübliche Wohnung, ihr eigenes Geld. «Wir sind keine Kommune», betont Neuenschwander, «Unser Vorbild ist das genossenschaftliche Wohnen. Wir haben es ergänzt um die christliche, die benediktinische Komponente. Wir funktionieren wie eine moderne, christlich Genossenschaft und bewohnen ein Renditeobjekt. Das ist das Innovative an unserem Modell.»

Es ist keine Kommune. Vorbild ist genossenschaftliches Wohnen.

Für die Vergabe der Wohnungen hielt sich der Vorstand von «erfahrbar» an den Prozess «Ausschreibung – Bewerbungen entgegennehmen – Kennenlerngespräch – Vertiefungsgespräch – Zuschlag». Es sollte eine sozial und altersmässig durchmischte Gruppe entstehen. Rückblickend habe sich besonders die berufliche Durchmischung bewährt: «Wir brauchten beim Aufbau viel Know-how in den Bereichen Administration, IT, Hausbewirtschaftung oder Buchhaltung», sagt Neuenschwander. Alle diese Kompetenzen konnten intern abgedeckt werden. «Mitzuerleben, wie die Menschen sich hier entfalten, ist toll.»

Priorin Irene Gassmann attestiert dem Vorstand, dass ihm die Auswahl der Bewohnerinnen und Bewohner geglückt ist. Wichtig sei aus ihrer Sicht gewesen, dass sich die Schwesterngemeinschaft nicht eingemischt hat: «Wir Schwestern mussten loslassen.» Die Priorin meint das nicht nur im Hinblick auf die Entwicklung im Kloster Fahr, sondern ganz allgemein für den Umgang mit Klöstern, die leer werden und sich mit neuem Leben füllen sollen. Die neue Nachbarschaft ist für Priorin Irene Gassmann und ihre Gemeinschaft rundum stimmig, wie eine Anekdote zeigt: Eine ihrer Mitschwestern, die kürzlich im Spital war und dort Kinder vor dem Fenster spielen hörte, sagte zur Priorin: «Es ist wie daheim.»

Klöster erleben heute wegen fehlendem Nachwuchs einen Strukturwandel: Klostereigene Betriebe können nicht mehr durch die Konvente selbst geführt werden, Gebäude stehen leer. Der vom Kloster Fahr eingeschlagene Weg mit einem Investor, der Pensionskasse Prosperita als Baurechtsnehmer und dem Verein «erfahrbar» als Verwalter ist in der Schweiz bisher einmalig. Die Frage nach der Umnutzung oder Weiterentwicklung von Klöstern ist hochaktuell und verschiedene Interessensgemeinschaften suchen nach Lösungen.

www.kloster-leben.ch / schweizerkirchenbautag.unibe.ch / www.klostergeschichte.ch / www.kloster-fahr.ch

Link zur Dokumentation über das Generationenwohnen beim Kloster Fahr: www.age-stiftung.ch – Publikationen - Dokumentationen