«Den Islam» gibt es nicht

In den Medien werden Musliminnen und Muslime oft so dargestellt, als wären sie eine einheitliche Gruppe. Und als wären sie eine Bedrohung. Das ist nicht nur falsch – es schadet der Schweizer Gesellschaft.

Podium zu «Pressefreiheit und Islamkritik»: Christoph Sigrist, Noemi Trucco, Susan Boos, Felix Reich, Amira Hafner-Al Jabaji.
Zu «Pressefreiheit und Islamkritik» diskutierten von links nach rechts: Christoph Sigrist, Noemi Trucco, Susan Boos, Felix Reich und Amira Hafner-Al Jabaji.

Mit etwa sechs Prozent der Gesamtbevölkerung in der Schweiz sind muslimische Menschen eine Minderheit. Sie sind aber eine, über die in den Medien verhältnismässig oft berichtet wird, meist in Zusammenhang mit Terrorismus, Unterdrückung und Bedrohung. Wie erleben das die Betroffenen? Was bedeutet es für Musliminnen und Muslime, wenn sie derartiges in der Zeitung lesen? In der Paulus Akademie wurden diese Fragen zu Pressefreiheit und Islamkritik diskutiert. Die Veranstaltung war die erste Kooperation zwischen der Vereinigung der Islamischen Organisationen in Zürich VIOZ und der Paulus Akademie.

Ein Beispiel: Ein Imam lässt sich von einer Journalistin ein Jahr lang bei seiner Arbeit begleiten. Die Journalistin veröffentlicht dann ein Porträt über ihn in einer renommierten Zeitung. Der Imam hat den Beitrag aber vor der Veröffentlichung nicht freigegeben. Im Beitrag zweifelt die Journalistin wiederholt die Vertrauenswürdigkeit des Imams an und bringt ihn mit radikal-islamischen Gruppierungen in Verbindung, ohne Belege für diese Behauptungen zu haben.

Noemi Trucco forscht am Schweizerischen Zentrum für Islam und Gesellschaft. Die Soziologin hat den Imam gefragt, was diese Erfahrung mit ihm gemacht hat. Er könne diesen Fall nicht vergessen, sagt er und, dass er sich als Imam mit Vorurteilen konfrontiert sieht: «Ich respektiere alle Leute, ich bin immer in Ordnung, ich folge dem Schweizer Gesetz… Alle Leute sind willkommen, und trotzdem bekomme ich einen solchen Artikel.» Trucco hat in ihrer Forschung festgestellt, dass sich gesellschaftlich engagierte Menschen nach solchen Erfahrungen oftmals zurück ziehen. Und dass sie das Vertrauen in Medienschaffende und die Öffentlichkeit nach und nach verlieren können.

Ich respektiere alle Leute, folge dem Schweizer Gesetz… und trotzdem bekomme ich einen solchen Artikel.

Der betroffene Imam reichte Beschwerde beim Presserat ein. Dieser hiess die Beschwerde teilweise gut: unter anderem habe die Journalistin unbelegte und daher nicht gerechtfertigte Anschuldigungen wiedergegeben.

Die Präsidentin des Schweizer Presserats Susan Boos verwies im Rahmen der Veranstaltung auf den Spagat, in dem sich der Presserat befinde: einerseits diskriminierende Berichterstattung zu rügen, andererseits die Meinungs- und Pressefreiheit zu verteidigen. Eine Beschwerde führe zunächst dazu, dass eine Redaktion Stellung nehmen müsse, was Journalisten und Herausgeberinnen fordere, weil es zu Diskussion und Auseinandersetzung führe – wofür auf Redaktionen selten die Zeit sei. Allein diese Auseinandersetzung sei ein wichtiger Erfolg, den der Presserat erzielen könne. An Aussenstehende sei dies aber oftmals schwer zu vermitteln und für die Beschwerdeführenden kaum befriedigend.

Die Diskussion auf dem Podium zeigte, wie vielschichtig und wie komplex das Spannungsfeld von Pressefreiheit und Islamkritik ist. Die Diskutierenden schienen sich einig, dass es mehr Gespräch und Auseinandersetzung dazu brauche – und dass die Veranstaltung wie ein erster Schritt darin sei. Neben Noemi Trucco und Susan Boos diskutierten Felix Reich, Redaktionsleiter von reformiert.zürich und Christoph Sigrist als Präsident der Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz mit. Die Politikerin Sanija Ameti hatte kurzfristig krankheitsbedingt abgesagt, ebenso der Präsident der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus Zsolt Balkanyi-Guery aus Gründen der Sicherheit. Moderiert wurde der Abend von der Islamwissenschaftlerin und Publizistin Amira Hafner-Al Jabaji.