Widmer & Binotto

Weshalb feiern wir Weihnachten und nicht die Sintflut?

Auch dumme Fragen verdienen eine Antwort. Also: Einmal im Jahr feiern wir Friede, Freude, Eierpunsch. Aber der Rest des Jahres gehört der Apokalypse. Was ist mir vom Unterricht zur Schweizergeschichte geblieben? Die Schlacht am Morgarten (1315), die Schlacht von Sempach (1386), die Schlacht bei Marignano (1515). Gut, da ist noch der 1. August 1291 –  allerdings kommt selbst dieser Mythos nicht rundum friedlich daher.

Die Geschichtsschreibung wird von Kriegsherren, gern die Grossen genannt, dominiert: Wir memorieren Alexander, Julius Cäsar, Hannibal, Attila, Dschingis Khan, Napoleon. Wer erinnert sich dagegen an die Friedensstifter ihrer Zeit? Und weshalb gliedern wir das 20. Jahrhundert nicht in Friedenszeiten? Mitunter glauben wir sogar, bessere Waffen seien eine bessere Garantie für besseren Frieden.

Mit dieser Fixierung der Menschheit auf das Finstere, Zerstörerische und Abgründige hat sich schon der florentinische Dichter Dante Alighieri (1265–1321) herumgeschlagen. Seine «Göttliche Komödie» ist erstens nicht wirklich heiter. Und mit dem Himmel hat sich Dante im Gegensatz zu Hölle und Fegefeuer so richtig rumgequält. Seine Begründung salopp zusammengefasst: Der Himmel gibt dramatisch nichts her. Langweilig.

Spätestens jetzt fährt es mir höllisch heiss ein. Führen wir tatsächlich auch deshalb endlos Kriege, weil uns der Friede zu langweilig ist? Weil wir zerstörerische Action spannender finden als stoische Friedfertigkeit? Weil die Katastrophe interessantere Schlagzeilen schreibt als das Glück.

Urplötzlich ist die Frage nach Weihnacht mitten im Juni gar nicht mehr so blöd. Mir fällt wieder ein, weshalb ich sie feiern will. Ich fänd’s sogar in der Hitze des Sommers ganz cool, wenn das Christkind mein Stimmungsmacher wäre, mein Fixstern und mein Friedensfürst. Aber obacht: Selbst die friedfertigste Weihnachtsstimmung hat ihren natürlichen Feind. Davon kann so manche Familie ein böses Liedchen singen.