Kolumne

Vom Glück des Reparierens

Die Kunst der Reparatur bewahre die Liebe zu den Dingen und auch zu Menschen, sagt der Psychologe Wolfgang Schmidbauer.

Wolfgang Schmidbauer arbeitet als Autor und Psychotherapeut in München. 2020 erschien von ihm im Oekom-Verlag «Die Kunst der Reparatur»

Als Kind habe ich noch das dörfliche Handwerk miterlebt, den Schmied zum Beispiel, bei dem mein Grossvater seinen Pflug reparieren liess, den Sattler, der mir aus unverwüstlichem Schweinsleder meinen ersten Schulranzen nähte. Solche Handwerker waren immer auch Lehrmeister für den Reparaturinteressierten. Ich konnte ihnen über die Schulter schauen und sehen, wie sie ihre Sachen machten. Der Schuster, der mir ein Paar von ihm gefertigter Schuhe verkaufte, hat mit Verständnis reagiert, wenn ich sie ihm mit durchgelaufener Sohle gebracht habe.

Heute werfen Fahrradmechaniker bei einer Panne die in den meisten Fällen bis auf eine winzige Fehlstelle intakte Luftkammer weg und ersetzen sie durch eine neue. Wo Zeit Geld ist, ist es teurer, das Löchlein zu flicken als den Schlauch wegzuwerfen.

Dieses Flicken hat seine eigene Poesie, vor allem dann, wenn es um einen Luftverlust geht, der sich erst nach Stunden bemerkbar macht. Ich nehme mir die Zeit, den Schlauch noch einmal aufzupumpen und ihn einmal durch eine grosse, mit Wasser gefüllte Schüssel zu ziehen. Ein nicht mehr unter seinen Reifen gezwängter Schlauch nimmt Formen an, die er sich in seiner Zwangsjacke niemals zugetraut hätte, bläht sich links und rechts von der Taille, die durch die verstärkte Textur um das Ventil geschaffen wird. Im Wasserbad enthüllt er dann alle Geheimnisse. Feinste Luftblasen perlen aus einem unsichtbaren Loch, das jetzt mit Kugelschreiber oder Filzstift markiert wird. Das Flicken mit Aufrauhen, Salben mit der Gummilösung, Aufdrücken des passenden Flickens und erneuter Prüfung im Wasserbad gibt während der nötigen Pausen auch Gelegenheit, den Reifen zu prüfen und dessen Innenseite abzutasten, ob nicht ein Dorn oder Metallsplitter verborgen im Gummi steckt.

Auf solchen Wegen können wir einem Fahrradschlauch ein zweites und drittes Leben besorgen, statt ihn beim ersten Defekt zu entsorgen. Dieses Wort kann einen wirklich besorgt machen, es enthält einen Appell an Gedankenlosigkeit, die auch die Phrase ex & hopp spiegelt, mit der Werbung für Getränkedosen gemacht wurde.

Hier berührt die Kunst der Reparatur die noch viel wichtigere Kunst, Liebe – auch die zu Menschen – über deren «Defekte» hinaus zu bewahren. Ich bin überzeugt, dass die Konsumgesellschaft Depressionen fördert, weil Menschen ihre Liebesbeziehungen nicht mehr reparieren, sondern in der Hoffnung auf den perfekten Ersatz verwerfen und vereinsamen, wenn sie diesen nicht finden.

Wir haben unterbeschäftigte und untergeschickte Hände im Überfluss, aber die Rohstoffreserven werden knapp. Was ich reparieren konnte, habe ich auf eine neue Weise verstehen, aber auch lieben gelernt, wenn ich es mit dem typischen Konsumgegenstand vergleiche. Wer sich für altes Gerät interessiert, wird Reparaturen begegnen, die so liebevoll und sorgfältig ausgeführt sind, dass sie den Gebrauchswert des Ganzen steigern. Sie machen ein Ding menschlicher. Selbst eines, das aus Maschinen geboren wurde, trägt nun die Spuren von Handarbeit. Mit ihrer Hilfe hat es dem Schicksal getrotzt, das alles Vergängliche irgendwann ereilt.