Räucherstäbchenduft weist mir den Weg. Mitten in einem Wohnquartier im Untergeschoss, über eine Hintertreppe erreiche ich das Shōgen-Dojo Zürich. Der Raum strahlt Ruhe aus, die Anwesenden warten schweigend und beinahe ehrfürchtig auf den Beginn dieses zweiten Abends im Rahmen des interreligiösen Veranstaltungszyklus zur Bewahrung der Schöpfung. Die im Halbkreis angeordneten Sitzkissen und einige Stühle richten den Blick auf einen kleinen Altar mit Blumen, einer Buddha-Statue und Fotos verstorbener Zen-Lehrer und Mitglieder dieses Dojos.
«Die Zen-Praxis ist ein mystischer Weg», erklärt Shōkan Oshō Marcel Urech. «Es ist eine Möglichkeit, in Verbindung zu kommen mit etwas, das grösser ist als wir.» Mit ruhiger Stimme beginnt der Zen-Mönch und Leiter dieses Dojos, zu sprechen – überraschend in Basler Deutsch. Marcel Urech hat sechs Jahre in einem buddhistischen Kloster in New York gelebt und ist 2008 zum Oshô, das heisst Zenlehrer, ernannt worden. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe «Bewahrung der Schöpfung» des Zürcher Forums der Religionen erklärt er, was «Mitgefühl» im Zen-Buddhismus bedeutet: Der Mensch und die Welt, in der er lebt, sind eins. Wer davon überzeugt ist, begegnet allem Leben mit Mitgefühl. Somit wird das vom westlichen Denken geprägte Konzept von Umweltschutz hinfällig.
Westlich geprägte Menschen hätten gelernt, ihr Leben jederzeit vom Kopf her zu kontrollieren. Dies loszulassen sei harte Arbeit. Das Ego dürfe und müsse sein, aber es habe die Tendenz, uns zu versklaven. Der Weg der Zen-Meditation helfe, sich von der Sklaverei des Ego und der Diktatur des Denkens zu befreien. Das Sitzen in Stille, im Rhythmus des Atems, im Gehen-lassen der Gedanken, «führt uns immer tiefer ins eigene Unbewusste». Dort treffen wir auf unser innerstes Wesen, das eins ist mit dem Wesen aller anderen Menschen, der Schöpfung, des Universums. «Das ist unsere Buddha-Natur», sagt Urech. «Es ist unsere innere Quelle. Von hier schöpfen wir das Gefühl des Verbundenseins mit allen und allem.» Es gehe um eine Erfahrung, nicht um Theorien oder Konzepte. «Das Wort ‘Gott’ bietet keinen Trost. Erst der Kontakt mit Gott schafft Leben», sagt er?

Beatrix Ledergerber-Baumer
Die gut dreissig anwesenden Personen hören aufmerksam zu. Immer wieder gibt es Raum für Fragen, die der Zen-Mönch ruhig und bedächtig beantwortet. Auch «das weiss ich nicht» hat seinen Platz. Jemand fragt, ob das vor allem eine spirituelle Praxis sei oder auch mit dem Alltag zu tun habe? Sehr viel, meint Shōkan Oshō Marcel Urech. «Wir lernen, mit dem zu leben, was ist, im hier und jetzt. Wir handeln im Alltag, in Beruf und Familie achtsam und ergehen uns nicht im ständigen Beurteilen.» Wohltätigkeit, Treue, Askese, guter Lebenswandel und die Anrufung des Buddha-Namens gehören – so Urech – zu den Tugenden eines Buddha-gläubigen Menschen.
«Diese Begegnungen von Angesicht zu Angesicht mit Menschen anderer Religionsgemeinschaften, in deren je eigenen Räumlichkeiten, schätzen die Besuchenden sehr», sagt Mirjam Läubli, Geschäftsführerin des Zürcher Forums der Religionen, beim anschliessenden Apero. Bewusst würden solche Veranstaltungen niederschwellig und nicht mit akademisch geschultem Personal durchgeführt. «Die in Zürich lebenden Religionsgemeinschaften, vor allem die kleineren Gruppierungen, haben so die Möglichkeit, sich einem breiten Publikum vorzustellen.» Einander zu kennen helfe, Spannungen abzubauen und sei ein wichtiger Beitrag zum sozialen Frieden, betont sie. In angeregte Gespräche vertieft bleiben Viele noch lange im Dojo, löchern den Zen-Mönch mit Fragen oder geniessen einfach die vielfältigen Sushi und den warmen Gerstentee.
Das Zürcher Forum der Religionen wurde 1997 von der Stadt Zürich initiiert und besteht seit 2003 als gemeinnütziger Verein mit einer Geschäftsstelle. Es setzt sich sowohl für den interreligiösen Dialog als auch für den Austausch zwischen religiösen und politischen Institutionen ein und bietet eine Plattform für die Diskussion von gesellschaftspolitischen Fragen mit religiösen Aspekten.