Wie geht es Ihnen als alte Frau in Basel?
Ich persönlich fühle mich als alte Frau nicht benachteiligt. Als Feministin weiss ich, dass Frauen im Alter unsichtbar werden. Aber ich habe nie unter Alterdiskriminierung gelitten. Seit die Anhörungen am Europäischen Gerichtshof begonnen haben und ich dadurch in den Medien bekannt wurde, nehmen mich die Menschen wieder wahr. Sie sprechen mich an, lächeln mir zu.
Was ist das Schöne am Alter?
Das Schöne ist, dass wir uns alles leisten können. Wir müssen niemandem gefallen, nicht Angst haben um unsere Arbeitsstelle. Isabel Allende hat es so formuliert: «Wir alten Frauen haben nichts zu verlieren. Wir müssen nicht mehr beliebt sein, wir müssen nichts mehr tun, um schön zu sein, um aufzufallen. Wir können uns alles leisten. Nun müssen wir uns nur noch zusammenschliessen und die Welt retten.»
Läuft man dann nicht Gefahr, nicht mehr ernst genommen zu werden?
Die bürgerlichen Männer finden uns wohl schon lange lächerlich. Als alte Frauen haben wir mit unserem Aktivismus ein Tabu gebrochen. Normalerweise hüten wir Kinder und backen Kuchen. Zu hören sind nur die alten weissen Männer, die uns die Welt erklären. Seit wir den Schweizer Staat verklagt haben, kamen wir in allen Medien und sind in der ganzen Welt bekannt und erhalten Anerkennung. Das ist eine narzisstische Kränkung für viele Männer.
Welche Reaktionen haben Sie bekommen?
«Euch hätte man früher auf dem Scheiterhaufen verbrannt», stand in einer E-Mail an mich. Meine Antwort darauf: Heute kann man uns nicht mehr umbringen, nur noch ignorieren. Wir wurden auch als mediengeile alte Weiber bezeichnet. Daraus sprechen Neid und Frust.
Sie zeigen sich solidarisch mit Menschen in anderen Ländern, die vom Klimawandel betroffen sind, und mit Generationen, die noch nicht mal geboren sind, und dann wird Ihnen Egoismus vorgeworfen. Was macht das mit Ihnen?
Aus verfahrenstechnischen Gründen mussten wir ausschliesslich für die Rechte von uns alten, als besonders vom Klima betroffenen Frauen sprechen. Das wurde uns immer wieder als Egoismus ausgelegt. Nach dem Urteil dürfen wir uns offen solidarisieren mit allen Menschen, die von den negativen Folgen des Klimawandels betroffen sind. Wir kämpften und kämpfen nicht für uns alleine, sondern für unsere Enkelkinder, die wir betreuen, alle Menschen, den Planeten.
Kennen Sie das Argument, die Babyboomer-Generation sei schuld an der Klimakrise?
Ja, und es stimmt, dass unsere Generation viel Schaden verursacht hat. Es gab schon damals Stimmen, die vor der Klimaerwärmung warnten, aber die breite Öffentlichkeit hatte dieses Bewusstsein nicht. Schuld hätten wir auf uns geladen, wenn wir es gewusst und nicht danach gehandelt hätten.
Wissen heute alle Menschen, wie es um das Klima steht?
Jedes Schulkind weiss, dass es möglichst auf Flugreisen verzichten und wenig Fleisch essen sollte. Wer das alles dennoch tut, macht sich schon irgendwie schuldig. Wir müssen nicht perfekt sein, aber wir müssen immer wieder einen Effort machen.
Wie ging es nach dem Urteil und der negativen Reaktion des Parlaments und des Bundesrats weiter?
Wir haben weitergemacht. Wir bleiben so lange dran, bis wir merken, dass der Bund vorwärts macht mit neuen Gesetzen und neuen Massnahmen, damit er die Klimaziele erreichen kann. Bis es unseren Kampf nicht mehr braucht. Ich hoffe, wir erleben das noch. Nach dem Urteil war ich so froh, dass der Kampf nun vorbei ist, und dann kam die Reaktion aus der Politik, und der Kampf ging weiter. Das war ein grosser Frust.
Was haben Sie damals gedacht?
Weitermachen, noch mehr Drive! Solange unsere Politiker die Schweizer Klimapolitik loben, während wir auf dem Klimawandel-Leistungsindex Jahr für Jahr zurückfallen, müssen wir Klimaseniorinnen dranbleiben. Die Rede vom Schutz unseres Wohlstandes finde ich besonders stossend.
Warum?
Wir haben keinen Anspruch auf Wohlstand auf Kosten anderer Menschen. Da melden sich bei mir meine christlichen Werte. Ausserdem beruht unser Wohlstand auch auf Ausbeutung und sogar Sklavenhandel.
Wie geht es weiter?
Wir Klimaseniorinnen gehen an Veranstaltungen, geben Interviews, machen uns weiter bekannt. Wir bekommen fast täglich Anfragen, auch aus anderen Ländern. Wir sind etwa eingeladen nach Frankfurt von der Europäischen Zentralbank. Vergangenes Jahr war ich mit einer Kollegin in Athen, eingeladen von griechischen Frauen und Greenpeace, die sich von uns inspirieren lassen wollten, von uns! Wir sind neun Frauen im Vorstand und zwei, drei weitere helfen uns. Gemeinsam versuchen wir die Einladungen wahrzunehmen. Wir könnten schon noch etwas Unterstützung gebrauchen. Mitglieder haben wir über 3000 Frauen ab 64 Jahren.
Woraus ziehen Sie die Kraft, immer weiterzumachen?
Ich fühle mich als Teil der Bewegung. Ich bin nicht allein, wir halten zusammen. Ausserdem haben wir sehr viel Arbeit in das Projekt gesteckt. Wir machen weiter gegen die Arroganz der Schweizer Politik.
Hat die Reaktion auf das Urteil Ihr Verhältnis zur Schweiz verändert?
Ich bin nach wie vor stolz, Schweizerin zu sein. Aber die Schweiz hat eine Chance verpasst, Pionierin zu sein. Ich wünschte mir, die Schweizer Politik würde einmal nicht abwarten, sondern proaktiv etwas anpacken.
Seit Kaiseraugst sind Sie Aktivistin, warum gingen Sie nicht in die Politik?
Anfänglich wollten wir Feministinnen die Frauenpartei gründen. Wir waren gegen Grosskonzerne, gegen Atomkraftwerke und Atomwaffen, gegen die Wehrpflicht und für Sozialeinsätze und gegen Kitas, weil wir die Sorgearbeit mit den Vätern teilen wollten. Damals war ich scheu und hätte niemals öffentlich sprechen können. Als es darum ging, Kandidatinnen für den Nationalrat aufzustellen, scheiterte das Projekt. Von 2007 bis 2019 war ich Mitglied der Integralen Politik. Mit meinem Kollegen und Umweltaktivisten Martin Vosseler haben wir uns für den Nationalrat aufstellen lassen, wurden aber nicht gewählt.
Heute sind Sie nicht mehr scheu.
Nein, ich habe durch meine Arbeit als Kindergärtnerin und Erwachsenenbildnerin gelernt vor Menschen zu sprechen. Wenn ich etwas sage, das mir wichtig ist, dann habe ich kein Lampenfieber. Neulich am Kirchentag in Hannover habe ich in einer vollen Kirche gesprochen, da war ich in meiner Mission. Ich werde ausserdem bestärkt durch Menschen, die auf mich zukommen und mir sagen, dass sie durch mich Inspiration, Hoffnung und Mut bekommen.
Welche Rolle spielt Ihr Glaube?
Früher war ich fromm und habe Sonntagsschule gegeben. Heute spüre ich das Bedürfnis, mich für die Kinder einzusetzen, die nichts dafür können, dass wir den Planeten kaputt machen. Und für meine Nächsten im globalen Süden, die unter den Folgen leiden, die wir verursacht haben.
Woraus schöpfen Sie Ihre Kraft?
Es gibt mir Kraft, wenn ich an Veranstaltungen bin und dort Zuspruch bekomme. Ich brauche aber auch den täglichen Spaziergang in der Natur mit meinem Mann. Stille, schöne Konzerte, meine Grosskinder, überhaupt meine Familie.
Was können wir als Christinnen und als Christen vom Klimawandel lernen?
Der sorgfältige Umgang mit der Natur als einem Lebewesen. Der Garten Eden ist uns anvertraut und wir sollten ihn, anders als es in der Bibel steht, nicht unterwerfen und ausbeuten. Wir müssen Respekt haben vor der Mitwelt und ihr Sorge tragen. Auch die Menschen, die tausende Kilometer von uns entfernt leben, sind unsere Nächsten, und wir dürfen hier in der technisch hoch entwickelten Welt nicht so leben, dass sie geschädigt werden.
Was sagen Sie den Menschen, welche die Hoffnung auf eine Verbesserung des Klimas aufgegeben haben?
Die kleinste Anstrengung, um CO2-Ausstoss zu verhindern, wirkt etwas. Es geben sich viel mehr Menschen Mühe, als wir meinen. Je mehr wir zeigen, dass wir bereit sind, uns einzuschränken, umso grösser wird der Druck auf die Politik. Da verstecken sich immer noch viele Politiker hinter der Aussage: «Solange das Volk nicht bereit ist, sich einzuschränken, müssen wir nichts tun. Wir können nicht am Volk vorbei Massnahmen ergreifen.» Mit unserem Verhalten können wir Politikerinnen und Politiker davon überzeugen, geeignete Massnahmen zu treffen, um die Klimaziele zu erreichen.

MattoGrosso Films
«TROP CHAUD – KlimaSeniorinnen vs. Switzerland» erzählt die Geschichte der Seniorinnen, die vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen den Schweizer Staat wegen unzureichendem Klimaschutz klagten. Nach mehreren Abweisungen vor Schweizer Gerichten wurde dort ihr Recht auf ein gesundes Umfeld anerkannt. Das Urteil ist darum über die Schweizer Grenzen hinaus bahnbrechend, weil es den Klimaschutz als Menschenrecht etabliert. Trotzdem entschied die Schweizer Regierung, das Urteil nicht zu befolgen, was zu Kontroversen über Demokratie und Gewaltenteilung führte. Der Film ist ein Gerichtskrimi und rollt den Fall nochmals verständlich von vorne auf. So rücken ein Jahr nach dem Urteil des EGM die kämpferischen KlimaSeniorinnen wiederum ins Rampenlicht, um unermüdlich für wirksame Klimamassnahmen zu kämpfen, damit auch die Schweiz die Pariser Klimaziele erreichen kann.
«TROP CHAUD – KlimaSeniorinnen vs. Switzerland», Schweiz 2025
Regie: Daniel Hitzig und Benjamin Weiss
Besetzung: KlimaSeniorinnen
Kinostart: 15. Mai