Kolumne

Was in einem Gottesdienst geschieht

Birgit Jeggle-Merz erklärt, warum es wichtig ist, Liturgie zu feiern.

Porträt von Birgit Jeggle-Merz

Birgit Jeggle-Merz (*1960) war seit 2006 Professorin für Liturgiewissenschaft in Chur und Luzern.

Die Liturgie der Kirche hat bei vielen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen keinen guten Ruf: Sie sei langweilig, nicht am Puls der Zeit und antiquiert, festgefahren und sage den Menschen nichts (mehr). Natürlich gibt es auch andere Stimmen. Ein Blick in viele Pfarrgemeinden zeigt aber, dass Gottesdienste und kirchlich verfasste Religiosität viel an Selbstverständlichkeit verloren haben. Immer öfter bleiben die Bänke leer. Immer öfter wird überlegt, wie das gottesdienstliche Leben in einer Pfarrei überhaupt weitergehen kann. Die Krise der Kirche, die wir gerade erleben, ist auch eine Krise der Liturgie.

Deshalb lohnt ein Blick auf das Grundverständnis von Liturgie: Was will Liturgie eigentlich? Was geschieht in ihr?

Nach biblischem Verständnis ist Liturgie nie ein Kult, den Menschen Gott schulden, sondern eine Antwort auf den Anruf Gottes. Die Offenbarungskonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils bezeichnet Gottesdienst als «Gespräch zwischen Gott und Mensch» (Dei Verbum 25) und betont damit die Zugewandtheit Gottes. Liturgie will ein Begegnungsgeschehen zwischen Gott und den Menschen sein. Nicht einer fernen Gottheit wird die Verehrung dargebracht, sondern einem Gott, der sich erkennen lässt. 

In dieser Begegnung solle der Mensch «geheiligt», «heilgemacht» werden, sprich: zu sich selbst kommen, so formuliert die Liturgiekonstitution (Sacrosanctum Concilium 6). Deshalb wiegt es so schwer, wenn Menschen im Gottesdienst den Bezug zu ihren Sorgen und Nöten vermissen, wenn sie angeben, der Gottesdienst habe mit ihrem Leben nichts zu tun. Denn Liturgie und Gottesdienst – beide Begriffe meinen dasselbe – will gerade voll Leben sein, Leben vor und mit Gott. Das klingt auf das erste Hören vielleicht abgehoben und unwirklich, wäre da nicht der Gott der Bibel, der immer wieder neu die Begegnung mit den Menschen sucht. Die Bibel ist voll solcher Berichte, die bezeugen, dass dieser Gott ein rettender und menschenfreundlicher Gott ist. Wenn nun in allen Gottesdiensten aus den Büchern der Heiligen Schrift vorgelesen wird, dann geht es nie darum, nur eine gewesene und vergangene Geschichte zu erzählen. Die Liturgie inszeniert das Wort Gottes, das alle hören, als einen Ort, an dem Gottes Gegenwart erlebbar wird. Das Wort Gottes will rettend, heilbringend sein – genauso wie in biblisch bezeugter Zeit.

Im Gottesdienst wird also bedacht, was vergangen ist, und es wird Gegenwart: «Heute ist euch der Heiland erschienen», heisst es beispielsweise in der Weihnachtsliturgie. Aber damit nicht genug: Liturgie versteht sich als ein Eintreten in das Reich Gottes, das am Ende der Zeiten errichtet sein wird, aber bei Gott jetzt schon Wirklichkeit ist. Also geht es auch um die verheissene Zukunft, in die die versammelte Gemeinde jetzt schon eintreten kann. 

Das Versprechen der Liturgie ist gross: Umfangen vom Heil Gottes, das in der Geschichte ergangen ist, haben wir jetzt schon Anteil an dem Heil, das am Ende der Zeiten einmal sein wird. Wäre es nicht gut, wenn unsere Gottesdienste mehr von dieser Dynamik erfahren liessen?

Birgit Jeggle-Merz wird als Professorin für Liturgiewissenschaft pensioniert. Ihre Abschiedsvorlesung findet am 23. Mai 2025 um 16.30 Uhr in der Aula der Theologischen Hochschule Chur statt (Anmeldung notwendig).