Die Maria in der Höhlengrotte von Mariastein hat es mir angetan. Bei ihr habe ich schon geweint und geschimpft, mit ihr geschwiegen und gehofft. Ja, ich würde schon sagen, sie hat mir geholfen. Wobei, eigentlich ist es der Ort, der speziell ist. Die Statue der Maria ist nicht so besonders. Sie wirkt etwas steif. Dennoch ist sie die Hüterin des Ortes und gibt zu erkennen, dass hier ein heilender Ort ist. Ich gehe gern in die geheimnisvolle Grotte mit ihrem leisen Gemurmel. Mariastein ist nicht weit weg von meinem Wohnort, das ist schön.
Was hat die biblische Maria von Nazareth mit diesem Ort zu tun? Aus den Evangelien kommt uns doch eine ganz andere Frau entgegen, die in Bewegung ist, handelt, spricht, singt, kämpft. Es ist ein weiter Weg von Nazareth bis Mariastein, der durch viele Jahrhunderte führt, über Meere und Gebirge, über Grenzen, Missverständnisse, Machtpolitik, Genderrollen und natürlich auch über Sprachgrenzen.
Ich habe mich oft gewundert, dass es in den Evangelien von Marien nur so wimmelt. Allein schon das Markusevangelium kennt deren fünf: Maria, die Mutter Jesu – Maria von Bethanien – Maria des Joses – Maria des kleinen Jakobus – Maria Magdalena. War Maria ein Allerweltsname? Wieso hiessen so viele Maria?
Was klar ist: Maria ist die lateinische Form der hebräischen Mirjam. Interessanterweise nannten die Eltern ihre Töchter lange Zeit kaum Mirjam. Erst zwischen den Jahren 63 v. Chr. und 135 n. Chr. taucht dieser Name in all seinen Variationen vermehrt auf. Er wurde in kurzer Zeit der meistbelegte weibliche Name in Israel/Palästina. Das hatte damit zu tun, dass das Land von den Römern besetzt wurde. Historische Belege zeigen, dass sich die Bevölkerung zunehmend wehrte. Sie protestierten friedlich und mit politischen Delegationen, die sie nach Rom sandten. Sie unterstützten ihr lokales Gewerbe – zu Lasten der «Importware». Sie wehrten sich auch spirituell, pilgerten in Gruppen zum Tempel und sangen Psalmen. Und viele Eltern nannten ihre Töchter Mirjam. Also kein Wunder, dass Maria der häufigste Frauenname im Neuen Testament ist!
Laut der Schrift soll Mirjam das Volk aus Ägypten hinausgeführt haben: «Die Prophetin Mirjam, die Schwester Aarons, nahm die Pauke in die Hand und alle Frauen zogen mit Paukenschlag und Tanz hinter ihr her. Mirjam sang ihnen vor: Singt dem Herrn ein Lied, / denn er ist hoch und erhaben! / Ross und Reiter warf er ins Meer», so heisst es im 2. Buch Mose 15,20–21 (Einheitsübersetzung 2016).
Diese Erinnerung an Befreiung und die Hoffnung auf erneute Befreiung klingt auch im Magnifikat der Maria an (Lukasevangelium 1,46–52). Viele hofften in dieser schwierigen Zeit, dass etwas vom Potential der Prophetin Mirjam in ihren Töchtern aufscheinen möge: Möge ihre Tochter zu denen gehören, die sich der Unmenschlichkeit widersetzten und sich nicht beugen liessen. Eine Mirjam zu sein, hiess, ein Hoffnungsstern zu sein, ein widerständiger, mutiger noch dazu.
Wenn man die vielen Bilder von Maria in der Kunst sieht, könnte man meinen, sie sei ihr Leben lang jung und schön gewesen. Das stört mich auch an der marmornen Pietà des Michelangelo: eine zarte, junge, schöne Frau hält ihren toten Geliebten in den Armen, aber doch nicht ihren erwachsenen Sohn. Dann wäre sie doch viel älter! Ihre ewige Jugend verleiht ihr etwas Übermenschliches, etwas Starres, das sie in den Evangelien gar nicht hat.
Maria war zum Zeitpunkt der Kreuzigung eine ältere Mutter in ihren Vierzigern. Damals galt dies als ziemlich alt. Doch sie zögerte nicht, ihrem Sohn beizustehen. Auch wenn er als Aufständischer gekreuzigt wurde – oder gerade deswegen –, war sie bei ihm (Johannesevangelium 19,26–27). Sie zieht sich nicht auf ihr Altenteil zurück, noch distanziert Jesus sich von ihr – auch wenn viele Auslegungen das behaupten. Nein, die Mutter mit dem Namen der Prophetin Mirjam steht da, wenn es ihrem Sohn schlecht geht.
So erzählt es zum Beispiel das Markusevangelium. Im 3. Kapitel wurde Jesus von den Behörden verhört. Sie warfen ihm vor, mit einer ausländischen Macht gegen die Herrscher agitiert zu haben. Das war an den Haaren herbeigezogen, aber wer von ausländischen Mächten gesteuert war, wurde als Staatsfeind betrachtet. Es ging um eine politisch motivierte Verhaftung, wie sie leider auch heute an vielen Orten vorkommt.

Die «Madonna mit der Pistole» von Banksy provoziert – nicht nur Gläubige. Um es vor Vandalen zu schützen, wurde das Kunstwerk des Sprayers in der Altstadt von Neapel hinter Glas gesichert. Auf dieses Glas wiederum wurden inzwischen Protestbotschaften gegen den Krieg in Gaza geklebt. So entsteht ein buchstäblich vielschichtiges Marienbild.
Keystone
Im Altertum waren die Haftbedingungen katastrophal. Gefangene erhielten viel zu wenig Nahrung oder gar keine. Sie waren auf Unterstützung von aussen angewiesen. Sie waren auch Gewalt ausgesetzt. Die Gefängnisse waren mehr oder weniger Löcher, in die Menschen geworfen wurden. Auch der Prophet Jeremia war seinerzeit in eine Zisterne geworfen worden, auf deren Grund zwar kein Wasser mehr war, aber Schlamm, in den Jeremia immer wieder einsank (Jeremia 38,6–7). Jeremia sollte zugrunde gehen, weil er den König und seine Politik kritisiert hatte.
Jesus sollte auch zugrunde gehen, so war es den selbstgefälligen Herrschern recht. Doch kaum war Jesus im Gefängnis verschwunden, steht seine Mutter da (Markusevangelium 3,31). Meistens wird das so gelesen, dass die Familie Jesus nach Hause holen wolle. Sie hätten ihn nicht verstanden und gefunden, er soll lieber zuhause Verantwortung übernehmen, als in fremden Häusern Reden zu schwingen. Jesus habe sich dann von dieser unverständigen Familie distanziert und nenne dafür diejenigen, die ihm andächtig zu Füssen sassen, seine Mutter und Brüder und Schwestern.
Wir wissen nicht, ob es in Jesu Familie Konflikte gegeben hat. Das ist ja gut möglich, Konflikte gibt es überall, wo Menschen miteinander zu tun haben. Ich bezweifle aber, dass diese Auslegung des Textes die einzig mögliche ist. Wenn ich mir vorstelle, dass Jesus von Herodes angeklagt und dann eingesperrt wird, und dann kommt seine Mutter und ruft seinen Namen, dann geht es hier nicht um einen Mutter-Sohn-Konflikt. Im Gegenteil!
Die alte Mutter, die alles stehen und liegen lässt, weil ihr Sohn in Not ist, erinnert mich an die Mütter der Plaza de Mayo in Argentinien. Auch sie wollten nicht hinnehmen, was mit ihren Kindern geschehen war. In den Jahren 1976 bis 1983 entführte und tötete das Militärregime Tausende von politischen Gegnern, nahm Gefangenen die Kinder weg und verwischte jede Spur seiner Opfer. Am 30. April 1977 versammelten sich erstmals vierzehn Mütter auf der Plaza de Mayo und stellten sich vor dem Präsidentenpalast auf. Obwohl die Polizei sie aufforderte, sich zu zerstreuen, schritten sie langsam Arm in Arm auf dem Platz umher. Sie taten ja nichts Verwerfliches. Man konnte sie nicht einfach festnehmen. Jede Woche nahmen mehr Mütter an dem Protest teil, da immer mehr linke Aktivisten und Menschen, die der Kollaboration mit ihnen beschuldigt wurden, «verschwanden».
Ich stelle mir vor, wie Maria – die widerständige Mirjam – ihre Kinder zusammengerufen hat. Vielleicht kamen auch noch andere Marien mit, ihre Freundinnen und Nachbarinnen. Alle kannten jemanden, der oder die verschwunden war. So stellten sie sich auf die Strasse hin. Vermutlich war dies keine ungefährliche Aktion. Wie leicht griffen die Soldaten zu ihren Waffen. Allein nach jemandem zu fragen, der aus herrschaftskritischen Gründen inhaftiert war, war lebensgefährlich.
Was Maria vor dem Kerker getan hat, war Strassenprotest. Sich vor ein Gefängnis hinstellen und den Namen von Inhaftierten auf Schildern hochhalten oder gemeinsam skandieren, ist nichts anderes. Sie riefen vermutlich «Je-ho-shu-a» – die damalige, aramäische Version von Jesu Namen. Und das heisst zu Deutsch: Gott möge helfen! Es kann also gut so gewesen sein, dass sie nach ihm riefen – nach Jesus, ihrem Sohn und Bruder. Oder sie riefen Gott um Hilfe in dieser Zeit des Unrechts. Vielleicht zitierten sie einen Psalm, in dem genau dieser Hilferuf vorkam? Dann schüttelten die Soldaten vielleicht nur den Kopf über so viel unnütze Frömmigkeit …
Ihr Rufen erreichte auf alle Fälle das Ohr ihres Sohnes. Er kannte diese Stimme und diese Worte. Solange sie gerufen wurden, war nichts verloren. Eine Gewissheit umfasste ihn, er war nicht allein. Um ihn herum waren alles inhaftierte Menschen, die wie er zu Unrecht eingesperrt waren. Sie alle waren seine Geschwister, weil man auch ihnen Luft, Freiheit und Würde genommen hatte.
Ich glaube, dass die biblische Maria eine Figur ist, in der die Erfahrungen von vielen hindurchschimmern. Oft sind es schwere Erfahrungen, die eine Bevölkerung in politisch harten Zeiten macht. Maria gehört für mich nicht auf einen Sockel, sondern auf die Strasse, vor die Gefängnisse, dorthin, wo Menschen für die Menschlichkeit einstehen.
Wenn ich nach Mariastein spaziere, am Waldrand entlang, hinauf auf die wunderschöne Hochebene, dann mache ich mir schon Gedanken über das, was sich in der Welt zusammenbraut. Es tut mir gut, die vielen anderen Menschen zu sehen, die auch zu Maria gehen. Was führt sie wohl in die Felsengrotte? Ich wandere die vielen Stufen hinunter und tauche in das Dunkel des Raumes. Maria soll mir mal erklären, denke ich, so kann es doch nicht weitergehen! Was würde sie zu der Situation in Gaza sagen, was zu der Trump-Administration und dann noch der Klimawandel … Es dauert eine Weile, bis ich ihre Stimme höre. Sie erklärt mir, warum das wichtig ist, was die Mütter auf der Plaza de Mayo taten. Langsam verebben die Fragen und die Bilder in mir und es wird ruhig. Ich zünde eine Kerze an und setze mich noch einmal. Ja, es ist gut, sich an den Widerstand von Müttern zu erinnern. Ich kann den Lauf der Welt nicht beeinflussen, das konnten sie auch nicht. Aber sie haben sich gegenseitig gestärkt, ein Zeichen gesetzt und doch einiges erreicht.

zvg
Luzia Sutter Rehmann
(*1960) Titularprofessorin für Neues Testament an der Uni Basel eröffnet als feministische Befreiungstheologin alternative Zugänge zur Bibel.

Christoph Wider
Traditionen im Marienmonat
Maiandacht
Viele Pfarreien laden zu Maiandachten ein. Diese finden meistens wöchentlich den ganzen Mai hindurch statt und werden mit Liedern, Gebeten, Bibeltexten und weiteren Impulsen gestaltet.
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Mit dem Suchwort «Maiandacht» listet die Veranstaltungsagenda des Forums eine Übersicht für das gesamte Kantonsgebiet auf
www.forum-magazin.ch/agenda
Rosenkranzgebet
Das mittelalterliche Gebet, das mit einer Gebetskette strukturiert wird, ist heute noch die am weitesten verbreitete katholische Andachtsform, die untrennbar mit der Marienverehrung verbunden ist. Der Rosenkranz wird deshalb im Marienmonat besonders gepflegt.
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Kirche Guthirt, Zürich, 4. Mai 2025, 18.00 Uhr
Rosenkranz für den Frieden: Ein kleiner Teil wird von der Kantorin in verschiedenen Sprachen gesungen – symbolisch für ein friedvolles Zusammenleben trotz unterschiedlicher Herkunft.
Prozession
Die in traditionell katholischen Gebieten bekannten Marienprozessionen werden im Kanton Zürich aus historischen Gründen selten gepflegt.
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St. Josef, Schlieren, 12. Mai 2025, 20.00 Uhr
Marienfeier mit Prozession: Die Feier wird von Generalvikar Luis Varandas geleitet und findet zu Ehren der Maria von Fatima in portugiesischer und deutscher Sprache statt.
Wallfahrt
Der grösste Marienwallfahrtsort ist Lourdes in Frankreich. Dorthin findet vom 9. bis 15. Mai die Interdiözesane Lourdeswallfahrt statt, die von Bischof Markus Büchel begleitet wird.
In der Schweiz ist Einsiedeln der grösste Pilgerort, der Maria gewidmet ist. Es gibt aber fast unzählige weitere. Maria Lourdes in Zürich-Seebach ist die einzige Marienwallfahrt im Kanton Zürich.
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Pfarrei St. Niklaus, Hombrechtikon, 7. Mai 2025, 14.00 Uhr
Wallfahrt nach Maria Bildstein in Benken (St. Gallen), Treffpunkt auf dem Parkplatz Maria Bildstein.
Anmeldung bis 6. Mai an maschwitter@hispeed.ch
Marienwoche
In der Pfarrei St. Josef in Winterthur-Töss findet 2025 eine Marienwoche statt. Dann macht dort die Pilgermadonna aus Fatima Station, die von der Stiftung «Mission Maria» in die Schweiz gebracht wurde. Es finden Eucharistiefeiern, Rosenkranzgebete, Prozessionen, Maiandachten und eine Filmvorführung statt.
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St. Josef, Winterthur-Töss, 13. bis 23. Mai 2025
Tage mit der Fatima Madonna
www.stjosef.ch