Porträtzeichnung von Alfred Delp

Theologische Köpfe

Leben, aber nicht um jeden Preis

Der Jesuit Alfred Delp wurde im Alter von 37 Jahren von Nationalsozialisten ermordet. Er fand einen Weg, seinem gewaltsamen Tod einen Sinn zu geben.

«Soll ich weiter hoffen, trotz der Aussichtslosigkeit?», notiert Pater Alfred Delp mit gefesselten Händen. Er sitzt in einer Gefängniszelle. «Soll ich mich ganz loslassen und die Abschiede vollziehen und mich ganz auf den Galgen einstellen? Ist es Feigheit oder Trägheit, dies nicht zu tun und noch zu hoffen?» Am Tag zuvor hatte der «Hinrichter» Roland Freisler ihn zum Tod durch den Strang verurteilt. Diesmal wurde die Hinrichtung nicht sofort vollstreckt, er und die anderen, die an diesem Tag verurteilt worden waren, kamen zurück in ihre Zellen. Für den jungen Pater wurden es drei Wochen des Wartens. Vielleicht erinnerten sie ihn an sein Adventsspiel, das er 1933 für das Jesuitenkolleg in Feldkirch geschrieben hatte: In drei ergreifenden «Bildern» lässt er Menschen von ihrer Hoffnung angesichts des sicheren Todes erzählen – und von ihrer stillen Sehnsucht nach Glück. Erlebte Delp nun selbst ein «viertes Bild»?

Was hatte der 37-Jährige verbrochen, dass er in den Fokus der Nazis geriet? Er hatte sich als Christ engagiert, das wurde ihm vom Regime bereits als «Schuld» vorgeworfen. 1942 hatten sich evangelische Intellektuelle auf dem Gutshof der Familie von Moltke im schlesischen Kreisau getroffen. Sie vernetzten sich mit Regimegegnern und entwarfen Pläne, wie das Land zu erneuern sei, für eine Zeit, da die Nazis nicht mehr an der Macht sein würden. Ein besseres Deutschland sollte es werden, geistig-moralisch neu aufgebaut, ausgerichtet am christlichen Menschenbild, unabhängig von der Konfession. Deshalb beteiligten sich auch Katholiken im Kreisauer Kreis, darunter der Jesuit Alfred Delp, der für die «Grundsätze für die Neuordnung» nach dem Krieg auf die Prinzipien der katholischen Lehre von der sozialen Gerechtigkeit zurückgriff. Auf diese Weise leistete der Kreisauer Kreis geistigen Widerstand – anders als etwa Graf von Stauffenberg mit seinem Attentat auf Hitler. Doch nachdem von Stauffenberg am 20. Juli 1944 gescheitert war, ermittelte die «Sonderkommission 20. Juli» alle, die Kontakt zur Gruppe um von Stauffenberg hatten, darunter auch Delp. Einmal hatten sich die beiden getroffen, aber über Stauffenbergs Vorhaben war Delp weder informiert noch darin involviert.

Porträtzeichnung von Alfred Delp

«In wenigen Augenblicken weiss ich mehr als Sie.»
Alfred Delp (15.9.1907–2.2.1945)

Die Gestapo verhaftete ihn im August, verhörte ihn unter Folter und verlegte ihn im September nach Berlin. Dort wartete Delp zusammen mit anderen Angeklagten des Kreisauer Kreises, bis der Prozess vor dem Volksgerichtshof stattfinden würde – zuversichtlich, dass sich alles zum Guten entwickeln werde. Erst Mitte Dezember erfuhr er die Anklagepunkte. Da wurde ihm die drohende Todesstrafe bewusst. Zielstrebig erarbeitete er eine Verteidigungsstrategie: Wen hatte er getroffen, mit wem worüber gesprochen? Er notierte alles: Damit, glaubte der Jesuit, würde er die Anklage entkräften können. Mit Prozessbeginn zeigte sich, dass alles überflüssig war: «Als die Verhandlung mit mir eröffnet wurde, spürte ich bei der ersten Frage die Vernichtungsabsicht», wird Delp nach der ersten Verhandlung niederschreiben. Volksgerichtshofpräsident Freisler hatte ihn angeschrien: «Pfäffisches Würstchen!», «Ratte – austreten, zertreten sollte man so was!» Freisler befand ihn schuldig, weil er eine Zeit nach dem Naziregime geplant hatte; weil er bewies, dass Nationalsozialismus und Christentum grundsätzlich unvereinbar sind – und weil er als Jesuit ohnehin als Reichsfeind galt.

München, Stephanstage in den Jahren 1941, 1942 und 1943: Ohne es zu ahnen, hatte Alfred Delp beim Predigen über den heiligen Märtyrer Stephanus sein eigenes Schicksal vorausgesagt. Für ihn war Stephanus einer, der in der Stunde seines Todes «das Weihnachtsgeheimnis wirklich zum Grundgeheimnis seines Lebens macht. Der Mann, der über sich selbst hinausgewachsen ist, der Mensch, der alle menschlichen Grenzen hinter sich lässt, der übermenschliche Möglichkeiten zur Verfügung hat.» Warum kann Stephanus das? «Weil er die Botschaft von der Vergöttlichung des Menschen ernst genommen hat.»

Deshalb käme es für Delp jetzt einem Hochverrat gleich, den Vorschlag Freislers anzunehmen und den Orden zu verlassen, um so noch sein Leben zu retten. Delp hatte zwar keine Todessehnsucht und wollte kein Märtyrer werden. Aber er war bereit dazu, ihm ging es nicht um ein «Leben um jeden Preis». Doch sollte sein Tod wenigstens einen Sinn haben. Durch seine Haft und den Prozess – in seinen Augen ein «Theater gegen Kirche und Christentum» – hat er diesen Sinn gefunden. Das zeigen die 104 Briefe, die unter Schmutzwäsche versteckt aus der Haftanstalt geschmuggelt wurden. Mit seinen Schriften, mit seiner ganzen Lebenshaltung wollte er Zeuge für Christus sein: wie Jesus sich dem Unrecht, der Unwahrheit und Hoffnungslosigkeit seiner Zeit entgegenstellen. Darin sah Delp wie Stephanus «den Himmel offen» (Apostelgeschichte 7,56) und begriff seinen Heiland «als den Erlöser, der stirbt für das Zeugnis». Bevor er zum Galgen geführt wurde, verabschiedete er sich vom Gefängnispfarrer mit den Worten: «In wenigen Augenblicken weiss ich mehr als Sie.»

Alfred Delps «Gesammelte Schriften» und eine Fassung dieses Artikels mit Quellenangaben stehen in der Jesuitenbibliothek Zürich bereit.