Es ist etwa sieben Jahre her, da traten ein Theologe und eine Theologin an Sibyl Kraft heran und fragten sie, ob sie zu einer gemeinsamen Veranstaltungsreihe bereit wäre. Sibyl Kraft sagte ja. Ihre Zusage begründete sie persönlich: Theologie und Kirchengeschichte hätten sie schon immer interessiert. Darüber hinaus biete sich die Sammlung des Zürcher Kunsthauses dafür auch an. Unzählige der über 3000 Werke hätten religiöse Bezugspunkte, explizite und solche, die man erst entdecken müsse.
Seither macht sich Sibyl Kraft sechsmal im Jahr auf Entdeckungsreise, im Dialog mit dem Publikum und immer zusammen mit einer Pfarrperson von einer der christlichen Kirchen. Alle treffen sich vor einem Kunstwerk, betrachten es, tauschen sich aus. Oft gehe es dabei um Christliches, oft um das, was jenseits einer Religion angesiedelt sei, denn: «Kunst befasst sich mit dem Woher, dem Wohin und dem Dazwischen. Ausser vielleicht die dekorative Kunst. Wir stehen in einer langen Tradition der Suche nach Antworten auf existenzielle Fragen.» Sibyl Kraft sieht genau in diesen Fragen die Ursprünge der Kunst sowie auch die Tiefendimension von Religionen. Was sie begeistert. So sehr, dass sie sich, bereits zur Primarlehrerin ausgebildet, ins Studium der Kunstgeschichte ziehen liess und im Nebenfach Kirchengeschichte wählte. Das war vor über 30 Jahren, noch bevor sie ihre Arbeit am Kunsthaus Zürich aufnahm. Ohne Kirchengeschichte und ohne Theologie, ist sie überzeugt, komme man in der Kunstvermittlung sowieso nicht weit, gerade wenn es um Kunst aus dem Mittelalter gehe. Religiöses Wissen sei ein wesentlicher Schlüssel.
Sibyl Kraft beobachtet, wie immer weniger Menschen dieses Wissen selbstverständlich ins Museum mitbrächten. Wie die Besuchenden dafür ihre eigenen Erfahrungen mit den Kunstwerken ins Gespräch bringen wollten und interessiert seien, gerade auch am Religiösen. Darüber kommt sie im Rahmen der Kunstvermittlung in den Dialog. Auch mit Schülerinnen und Schülern. Erst letzthin, erzählt sie, kam eine Klasse und präsentierte vorbereitete Referate zu einzelnen Kunstwerken. Als es um das Jüngste Gericht ging, fragte sie schliesslich bei den Jungen nach: Ob sie denn wüssten, was das sei, wovon sie da referierten? Schweigen. «Ein Schüler streckte schliesslich auf. Er war Muslim, er konnte es erklären.»