In der ersten Weihnachtsnummer des Forums 1991 schrieb der damalige Chefredaktor Giorgio Rimann: «Wen Weihnacht nicht im Innersten träfe, der ginge samt Glitzer, Gefühl, Kerzen, Musik und trefflich, auch kulinarisch stimmig gestalteter Festlichkeit am Eigentlichen vorbei. Und würde so verpassen, was eigenem Leben Sinn, Hoffnung, Geborgenheit trotz aller Widerwärtigkeiten tragfähig schenkt: dass Gott wirklich und trotz allem eine Schwäche für uns Menschen hat!» Und ein Jahr später fügte er hinzu: «Keine Weihnacht gleicht der andern. Jedes unserer Weihnachtsfeste ist eingebunden in das, was uns gerade beschäftigt.»
In dieser Haltung ist sich das Forum immer treu geblieben. «Alle Jahre wieder» bedeutete auch «Alle Jahre neu».
2008
Weihnachten international: Irak
«Weihnachten – da haben wir viel Besuch, und meine Mutter kocht meine Lieblingsspeise», schwärmt die 16-jährige Oraka aus Adliswil. Die Familie Dawoud stammt aus dem Nordirak, einem Dorf in der Ninive-Ebene. «Bei uns beginnt die Vorbereitung auf Weihnachten am 30. November», erzählt die Mutter. «An diesem Tag müssen alles Fleisch, alle Milch wie auch alle Eier, die man noch im Kühlschrank hat, gegessen werden.» Das grosse Resteessen wird aber als Dorffest zelebriert: «Man kocht alles, was man hat, und dann geht man von Familie zu Familie und isst zusammen», erinnert sich Rima Dawoud mit leuchtenden Augen. Anschliessend werde den ganzen Advent gefastet.
Am Weihnachtsessen, wie dies unter den Christen der mit Rom verbundenen Chaldäischen Kirche in ihrem Dorf üblich ist, halten die Dawouds fest. Mutter Rima fährt extra nach St. Gallen, um die nötigen Zutaten zu bekommen: Fleisch, Darm und Bauch vom Lamm und vom Schaf. An Weihnachten werden aus den Innereien Würste und Taschen gemacht. Diese werden mit Reis und Fleisch gefüllt und mit Faden zugenäht. Mit der Essenszubereitung geht der 24. Dezember vorüber, mit der Mitternachtsmesse beginnt das grosse Fest: «In unserem Dorf im Irak besucht man am Weihnachtsmorgen zuerst den Friedhof und bringt Blumen und Kerzen auf die Gräber. Man begleitet und tröstet die Familie, die als letzte jemanden begraben musste», sagt Rima. Dann besucht man sich gegenseitig. Überall gibt es Süssigkeiten, Kaffee und Tee. Dort, wo man um die Mittagszeit landet, gibt es die gekochte Weihnachtsmahlzeit. «Das ganze Dorf feiert zusammen, am Abend sitzt man noch lange beieinander, tanzt und singt», schwärmt Rima. Sie macht mit ihren drei Töchtern zusammen alles, um etwas von dieser gastfreundlichen Weihnachtsfreude auch in der Schweiz weiterleben zu lassen.
«Wir laden viele Familien ein», erzählt die 15-jährige Ornina. «Unsere Wohnstube ist dann ganz voll», schwärmt die zehnjährige Fareda. Allerdings mag sie das Weihnachtsessen nicht mehr, seit sie einen ganzen Schafskopf gesehen hat, der mitgekocht wurde. «Das ist nur für den Geschmack», erklärt die Mutter, «nachher nehmen wir den wieder raus.» Fareda kann sich als Einzige nicht mehr an Weihnachten im Irak erinnern, da sie ein Jahr alt war, als die Familie flüchten musste. Seit dem Irak-Krieg gibt es kaum mehr eine Zukunft für die Christen in ihrer Heimat. «Wir stehen dort zwischen allen Fronten, werden benachteiligt, bedroht und oft auch angegriffen», sagt die 15-jährige Ornina traurig. Sie hat sich der Organisation Christian Solidarity International CSI angeschlossen, um ihre Landsleute zu unterstützen.
Beatrix Ledergerber-Baumer

Manuela Matt
2018
Der älteste noch fahrtüchtige Gelenktrolleybus wird in Winterthur zum rollenden Adventszimmer.
Foto: Manuela Matt
2019
Weihnachtsbotschaft zum Anfassen
Bereits auf einer der frühesten Weihnachtsdarstellungen werden beispielsweise zwei Tiere prominent in Szene gesetzt, die in den Evangelien nicht auftauchen. Auf dem Sarkophag von Adelphia und Valerius (Syrakus, ca. 340–345) stehen Ochs und Esel an der Krippe.
Mit ihnen wird ein Grundprinzip der Weihnachtskrippe zum Ausdruck gebracht: Kontinuität und Wandel.
Der Ochse steht für Reinheit und Opfer und damit auch für das Judentum. Er erinnert an das Zitat aus dem ersten Kapitel im Buch Jesaia: «Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn.»
Obwohl an dieser Stelle in einem Atemzug auch der Esel genannt wird, steht er dennoch in Kontrast zum Ochsen, denn der Esel ist in der jüdischen Tradition ein unreines Tier. Im Gegensatz zum Ochsen taucht er in den Evangelien gleich mehrmals auf: Die hochschwangere Maria reitet auf dem Esel nach Bethlehem und flieht auf ihm zusammen mit dem Säugling und Josef nach Ägypten. Und gut dreissig Jahre später wird Jesus auf einem Esel in Jerusalem einziehen. Der Esel zeigt an, dass in der Kontinuität ein Neuaufbruch geschieht. Er steht auch für das Heidentum, das keine jüdische Tradition kennt.
Thomas Binotto

Nadja Hoffmann
2016
Jeder Glaube ist eine mehrschichtige Collage von Raum und Zeit. Ein Sammeln, Gewichten, Deuten und Kombinieren von Traditionen.
Das Weihnachtsfest greift weit zurück in die vorchristliche Zeit und weit hinaus in den nichtchristlichen Raum. In ihm stecken dramatische Dringlichkeit genauso wie dekorative Schönheit.
Sichtbar wird dies in der symbolischen Bildgeschichte des Christentums. Im abweisend kargen Gestrüpp beispielsweise, das im Weihnachtslied «Maria durch ein Dornwald ging» plötzlich wunderschöne Rosenblüten trägt. Oder im unscheinbaren «heidnischen» Glücksbringer, für den Kinder stundenlang eine Wiese absuchen.
Die Collage von Nadja Hoffmann ist schön. Sie ist auch dekorativ. Sie lässt es aber gleichzeitig zu, in die Symbolwelt des Christentums einzutauchen und die Vielschichtigkeit des Weihnachtsfestes immer wieder neu zu entdecken.
Collage: Nadja Hoffmann
2020
«Dürfen Christen reich sein?»
In den ersten Jahrhunderten des Christentums warfen Gegner den Gläubigen gerne vor, sie seien alle ungebildet und arm – eine Polemik, die weit von der Wirklichkeit entfernt war. Christliche Autoren reagierten damit, Armut zum Ideal zu erheben und sich scharf abzugrenzen von den Heiden, die sie als von Habgier besessen darstellten.
Reichtumskritik und Armutsideal sind jedoch uralt und keine Erfindung der Christen. Die Pythagoreer beispielsweise, eine philosophische Gruppierung des 6. Jahrhunderts vor Christus, sollen in einer besonders strengen Form der Gütergemeinschaft gelebt und kein Privateigentum anerkannt haben. Ab dem 5. Jahrhundert vor Christus treten Kyniker auf den Plan, die danach strebten, nur das Allernotwendigste zu besitzen, um so innere Unabhängigkeit zu erlangen.
Diese philosophischen Strömungen spielten in der umfangreichen klassischen Bildung, die auch die christlichen Autoren genossen, eine grosse Rolle und flossen in ihre Werke mit ein.
So kommt es, dass Clemens von Alexandria im 2. Jahrhundert in seiner Schrift «Welcher Reiche wird gerettet werden?» eins zu eins Schlüsselbegriffe aus der Reichtumskritik der philosophischen Schule der Stoa benutzte.
Der Evangelist Lukas wiederum übernahm für seine Beschreibung der Gemeinschaft der Jünger sprachliche Wendungen der Pythagoreer. Tatsächlich ist es möglich, dass die Jünger pythagoreische Vorstellungen der Gütergemeinschaft kannten. Im Judentum gab es vom Pythagoreismus beeinflusste Ordensgemeinschaften wie die Essener, die Gütergemeinschaft praktizierten und Reichtum ablehnten. Auch Philon von Alexandria, ein einflussreicher jüdischer Philosoph und Theologe um Christi Geburt, lehrte in seinen Spätwerken die Verachtung des Reichtums.
Miriam Bastian

Christoph Wider
2021
Pierre-Yves wird in der 31. Woche mit einem Notkaiserschnitt entbunden. Seine Geburt ist ein Überlebenskampf. Seine Mutter France bewundert seinen Lebensmut. Veronika Jehle und Christoph Wider erzählen diese Geschichte von der Kostbarkeit des Lebens und von seiner Verletzlichkeit.
Foto: Christoph Wider
2014
«Wir Christen haben ein revolutionäres Programm»
Solidarität bedeutet, dass man gemeinschaftlich denkt und handelt; dass das Leben aller wichtiger ist als die Güteranhäufung einiger weniger. Solidarität bedeutet ferner, die strukturellen Ursachen von Armut und Ungleichheit zu bekämpfen, etwa wenn Arbeitsplätze fehlen, Land oder anständiger Wohnraum nicht zur Verfügung steht, wenn Sozial- und Arbeitsrechte vorenthalten werden. Solidarität meint Aufstehen gegen die zerstörerischen Auswirkungen des Imperiums des Geldes: Zwangsumsiedlungen, leidvolle Migration, Menschenhandel, Drogen, Krieg, Gewalt und all jene Realitäten, unter denen viele von euch leiden und die zu ändern wir alle aufgerufen sind.
Papst Franziskus
2009
Das Ringen mit der Weihnachtspredigt
Die Predigt zu Weihnachten ist etwas Besonderes. Oft musste ich lange um eine neue Idee ringen und wiederholt die liturgischen Texte betrachten, um zu einer Weihnachtspredigt zu kommen. Manchmal aber habe ich sie sozusagen geschenkt bekommen.
Vor einigen Jahren brachte ich lange nichts Vernünftiges zustande. Dann, in einem Gespräch mit einem Freund, erzählte dieser mir Folgendes: Ein Bauer aus dem Bündnerland hatte seine Wiesen gemäht. Dabei war er allerdings sehr unruhig, weil die Wetterlage einiges befürchten liess. Es war dann auch tatsächlich so, dass der Bauer mit dem Mähen kaum fertig war, als es kräftig zu regnen begann. Es regnete und regnete. Er war darüber sehr erbost. Als er am Tag darauf seine Felder und das gemähte Heu anschaute, wurde ihm ganz übel. Das Heu begann, bereits bräunlich zu werden. Es begann zu faulen. Der Bauer wurde wütend. Ihm war klar, dass seine Kühe davon nicht mehr fressen würden. Er nahm einen Haufen Heu in seine Arme, stellte sich ganz aufrecht auf die Wiese, schaute zum Himmel hoch und schrie: «Komm herab, und wenn du wirklich Mut dazu hast, dann friss etwas von diesem Dreck.»
Zuerst klang mir diese Erzählung beinahe blasphemisch. Aber kurz danach machte es in mir klick. Die Weihnachtspredigt war da. Eben geschenkt. Weihnachten ist genau das: Gott hat nicht zuerst unsere Welt ganz sauber gemacht, ganz schön, um uns dann einen Besuch abzustatten, ohne Gefahr, dreckig zu werden. Er übernahm unsere Welt, wie sie ist, er wurde eins mit all dem Ungeniessbaren, das wir produzieren. Er identifizierte sich mit uns. Das ist Liebe!
Joseph M. Bonnemain

Christoph Wider
2017
Titelbild der forum-Weihnachtsausgabe
Foto: Christoph Wider
2006
«O Heiland, reiss die Himmel auf»
Als der Jesuit Friedrich Spee dieses Adventslied schrieb, tobte der Dreissigjährige Krieg (1618–1648). Es war eine Zeit, die ungeheures Leid über die Bevölkerung in Mitteleuropa brachte, nicht nur durch die Kämpfe, sondern auch durch Seuchen und Hungersnöte. Zwischen den Konfessionen herrschte Krieg, und der Hexenwahn erreichte seinen erschreckenden Höhepunkt. Wer diesen Hintergrund kennt, versteht augenblicklich, weshalb «O Heiland, reiss die Himmel auf» etwas von einem Klagelied ausstrahlt, das sich ungeduldig an Gott wendet. «Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt, darauf sie all ihr Hoffnung stellt?», singt Spee. Seine Klage: «O komm, ach komm vom höchsten Saal, komm, tröst uns hier im Jammertal» war nicht einfach fromme Poesie, sondern ein echter Hilfeschrei. Dieser war umso glaubwürdiger, als Friedrich Spee sich mutig und entschieden für die Notleidenden eingesetzt hat. Sein berühmtestes Buch ist die «Cautio criminalis». Darin zerpflückt er den Hexenglauben als Wahn und prangert die Hexenverfolgung als Verbrechen an. Damals musste der Jesuit wegen dieses Buches sogar von seinem eigenen Orden disziplinarische Massnahmen erdulden. Spee, der selbst aus dem Adel stammte, trug Verwundete vom Schlachtfeld, stand den Aussenseitern bei, kämpfte für Gerechtigkeit und starb 1635, weil er sich bei seinem unermüdlichen Einsatz für die Leidenden die Pest zugezogen hatte.
Thomas Binotto
Bild: 2011
Die «Angel Force» aus der Pfarrei St. Anton ist im Kreis 4 unterwegs.
Foto: Christoph Wider