Herr Widmer, Sie sind Botschafter der Schweiz beim Hl. Stuhl in Rom, also beim Vatikan, residieren aber in Bern. Wie kommt das?
Paul Widmer: Die Schweiz hat erst seit 2004 einen regulären Botschafter, der die Beziehungen zum Hl. Stuhl im Rom unterhält. Damals wurde diese Aufgabe vom Botschafter in Prag wahrgenommen, über eine so genannte Seitenakkreditierung. Seit 2010 residiert der Botschafter in der Schweiz. Ich mache meine Arbeit von Bern aus.
Sie haben in der NZZ auch schon für eine ständige Vertretung mit Sitz in Rom argumentiert. Weshalb sind die diplomatischen Beziehungen der Eidgenossenschaft zum Vatikan so wichtig?
Kaum eine Institution unterhält auf der gesamten Welt ein so dichtes Netz wie der Hl. Stuhl. Dieses Netz umfasst nicht nur Botschaften – im Sprachgebrauch des Vatikans Nuntiaturen – es erstreckt sich über Bischöfe und Pfarreien bis in die hintersten Winkel der Länder. Das ist eine einzigartige Basis für den politischen Dialog und den Informationsaustausch. Deshalb tauschen wir uns beispielsweise zur menschenrechtlichen Situation in einzelnen Staaten regelmässig mit dem Hl. Stuhl aus.
Sie betonen also die gemeinsame Tradition im Einsatz für Menschenrechte und humanitäre Hilfe?
Ja, denn wir haben hier tatsächlich gemeinsame politische Interessen. Denken Sie beispielsweise an den Einsatz für Religionsfreiheit. An die Menschenrechte. Oder an die Probleme, die religiöser Fundamentalismus und religiös motivierter Terrorismus bereiten. Hier haben wir ein beiderseitiges Interesse an Informationen und Dialog.
Und eine Botschaft in Rom würde diesen Austausch vereinfachen?
Ich will mich nicht beklagen. Ich reise pro Jahr sechs Mal nach Rom und finde dort immer offene Türen und nützliche Gespräche. Aber es ist klar: Wenn man ständig vor Ort ist, eröffnen sich mehr Möglichkeiten als aus der Ferne.
Welches sind Ihre konkreten Aufgaben?
Ich bin der offizielle Vertreter der eidgenössischen Regierung beim Hl. Stuhl. Das verlangt konkret den Austausch wichtiger Informationen. Manchmal unterstützt man sich aber auch gegenseitig bei Kandidaturen für Posten in internationalen Organisationen. Oder man kreist im Vorfeld internationaler Konferenzen gewisse Positionen und Absichten ein. Und wenn ich in Rom bin, besuche ich zudem immer die Schweizergarde und spreche mit den Gardisten über ihre Anliegen. Schliesslich sind sie Schweizer Staatsangehörige, die im Vatikanstaat leben.
Wie direkt ist Ihr Zugang zum Papst?
Dieser beschränkt sich im Normalfall auf ein Treffen pro Jahr beim Neujahrsempfang in Rom. Dort können die Botschafter auch ganz kurz mit dem Papst sprechen. Sonst läuft der Kontakt über das Staatssekretariat, das für die Aussenbeziehungen des Hl. Stuhls verantwortlich ist.
Was reizt Sie an Ihrer Aufgabe besonders?
Es ist ein einzigartiger Posten, der auch geistig und intellektuell anregend und herausfordernd ist. Der interreligiöse Dialog gehört beispielsweise zu diesen Herausforderungen, derzeit eines der wichtigsten politischen Themen überhaupt. Oder die Frage, inwiefern Religionen auf die Politik tatsächlich einen friedensstiftenden Einfluss haben können. Dieser wird ja zumindest theoretisch von allen Religionen propagiert. Und schliesslich trifft man in dieser Aufgabe auf sehr interessante Gesprächspartner, weil die meisten Staaten hochkarätige Persönlichkeiten beim Hl. Stuhl akkreditieren.
Wenden sich auch Katholiken an Sie, die mit den kirchlichen Verhältnissen hierzulande unzufrieden sind?
Eigentlich nicht. Und wenn doch, dann wären sie bei mir an der falschen Adresse. Ich bin nicht für die kirchliche Beziehung zum Vatikan verantwortlich. Das läuft über die Bischöfe und den Nuntius. Ich vertrete den Bundesrat und erhalte auch von ihm Instruktionen, welche Anliegen ich mit dem Hl. Stuhl besprechen soll. In der Auseinandersetzung um Bischof Haas beispielsweise waren es die Kantonsregierungen, die an den Bundesrat gelangten. Deshalb wurde damals auch ein ausserordentlicher Botschafter ernannt.
2014 werden Sie in Pension gehen. Was wünschen Sie sich für die Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Vatikan?
Es würde mich freuen, wenn sich die Beziehungen weiter so intensivieren würden, dass auch die Schweiz zum Schluss kommt, diesen Beziehungen sei am besten mit einem Botschafter gedient, der in Rom residiert, so wie das die Botschafter von 81 anderen Ländern tun.
Schweiz-Vatikan
Die Apostolische Nuntiatur in der Schweiz ist die älteste ständige Vertretung des Vatikans nördlich der Alpen. Sie wurde 1586 in Luzern eröffnet. 1873 führte der Kulturkampf zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Heiligen Stuhl. Erst 1920 wurden die Beziehungen neu geknüpft. Der Heilige Stuhl wird in der Schweiz durch die apostolische Nuntiatur vertreten. Zugleich ist der Nuntius Vertreter des Papstes bei der lokalen Kirche. Der Bundesrat pflegte die diplomatischen Beziehungen zum Heiligen Stuhl seit 1989 mittels eines Botschafters in Sondermission. 2004 wurde der Schweizer Botschafter in Prag zum regulären Botschafter auch für den Heiligen Stuhl ernannt. Seit April 2010 residiert der Schweizer Botschafter für den Heiligen Stuhl in der Schweiz. Im Juni 2011 fanden erstmals politische Konsultationen zwischen der Schweiz und dem Heiligen Stuhl statt.
Quelle: Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten